Soziale Netzwerke
Persönliche Note, große Reichweite
[ Von Wolfgang Zenker ]
Am 31. Oktober 2009 wurde in San Francisco gefeiert: Die Internet-Plattform Kiva hatte Mikrokredite in Höhe von insgesamt 100 Millionen Dollar an Empfänger in 50 Ländern vermittelt – davon rund die Hälfte allein im Laufe des vergangenen Jahres. Das Projekt, das 2005 mit sieben Krediten in Uganda seinen Ausgang nahm, ist mithin in vier Jahren zum Global Player geworden. Nachahmer schießen mittlerweile geradezu aus dem Boden.
Die Idee ist einfach: Kiva stellt im Internet Kreditanfragen von Kleinunternehmern vor. Geldgeber suchen sich Projekte aus, die sie mit wenigstens 25 Dollar unterstützen wollen. Kommt so binnen 30 Tagen die gesamte Kreditsumme zusammen, zahlen MFIs, die mit Kiva kooperieren, das Geld vor Ort ohne Abzug an die Kreditnehmer aus.
Kivas lokale Partner-MFIs verwalten die Kredite, unterstützen die Kleinunternehmer (etwa durch Schulungen, Versicherungs- und Bankleistungen) und leiten Rückzahlungen sowie Fortschrittsberichte an Kiva und die Geldgeber weiter. Weder Kiva noch die Geldgeber erhalten Zinsen. Allerdings bezahlen die Kreditnehmer meist Zinsen, mit denen die Kosten abgedeckt werden, die den MFIs entstehen. Diese Kosten (und damit die Zinsen) sind wegen niedriger Kreditvolumina, kurzer Laufzeiten und intensiver Betreuungsleistungen im Mikrofinanzwesen typischerweise relativ hoch. Kiva selbst finanziert sich aus Fördermitteln und Spenden.
Kivas Erfolg hat mehrere Gründe. So ist das Konzept Mikrofinanz an sich schon populär. Kredite an Kleinunternehmer gelten als motivierende Hilfe zur Selbsthilfe mit hohen Rückzahlungsquoten. Den Daten von Kiva zufolge werden rund 98 Prozent der Mittel zurückgezahlt. Das Risiko bleibt für die Geldgeber also überschaubar, in der Regel büßen sie nur die entgangenen Zinsen ein.
Kiva profitiert zudem von den Vorteilen des Internets. Die Einstiegshürden sind gering, die Zahlungsabwicklung läuft einfach und schnell über Paypal, die Website hat internationale Reichweite. Die Unterstützung durch Prominente wie Bill Clinton, Oprah Winfrey oder Dambisa Moyo hat sicherlich auch zum Erfolg beigetragen.
Wichtig ist aber vor allem, dass das soziale Netzwerk von Kiva Individuen weltweit miteinander verbindet. Nutzer können über ein Nachrichtensystem miteinander sowie über die Partner-MFIs mit Kreditnehmern kommunizieren. Kiva unterstützt die persönliche Note und den Eindruck einer unmittelbaren Verbundenheit mit den Kreditnehmern durch individuelle Kreditanfragen mit Kurzbiografien und Fotos oder Videoclips. Fortschrittsberichte werden versprochen und oft (wenn auch längst nicht immer) in guter Qualität geliefert. Ehrenamtliche „Kiva Fellows“ spielen dabei eine wichtige Rolle. Sie unterstützen die Partner-MFIs in ihrer Arbeit und stellen eigene Mikrofinanzeindrücke, -erlebnisse und -erfahrungen ins Netz.
Kiva macht kein Geheimnis daraus, dass die Verbindungen oft nicht ganz so direkt und persönlich sind, wie es auf den ersten Blick erscheint. Aus Gründen der Praktikabilität nutzen die meisten MFI-Partner Kiva für ihre Refinanzierung, aber nicht für die unmittelbare Kreditbereitstellung. In der Regel kommen höchstens 30 Prozent des Kreditkapitals der MFIs von Kiva, so dass sie die Darlehen selbst aus anderen Quellen vorfinanzieren können. Auch eine rechtliche Verpflichtung der Kreditnehmer besteht nur gegenüber den Partner-MFIs, nicht gegenüber Kiva oder den Geldgebern.
Einige MFIs übernehmen eine Rückzahlungsgarantie gegenüber Kiva. Zumindest indirekt besteht aber gleichwohl ein Zusammenhang zwischen dem wirtschaftlichen Schicksal der Kreditnehmer und dem von Kiva-Nutzern bereitgestellten Kapital.
Mittelpunkt von Kivas Wirken ist letztlich die Förderung von MFIs, die unter sozialen Gesichtspunkten ausgewählt wurden, mit zinslosen Kreditmitteln. Dabei erschließt Kiva im Internet einen neuen Kreis von MFI-Förderern, die zuvor vermutlich wenig mit Entwicklungspolitik oder Mikrofinanzsystemen zu tun hatten.
Kiva steht vor einer Reihe von Herausforderungen. Die Organisation ist noch jung. Sie muss die richtige Balance zwischen Transparenz einerseits und möglichst einfachen Abläufen sowie Benutzerfreundlichkeit andererseits finden. Besonders wichtig ist die sorgfältige Auswahl und Überwachung der Partner-MFIs. Kiva muss sicherstellen, dass diese nicht aus Gewinnstreben tätig werden, sondern primär soziale Ziele verfolgen. Außerdem muss selbstverständlich verhindert werden, dass Partner-MFIs – wie in der Vergangenheit in Ausnahmefällen geschehen – Geld unter Vorspiegelung falscher Tatsachen einwerben oder gar veruntreuen.
Wachsende Vielfalt
Kiva wird im Netz längst nachgeahmt. Einige interessante Beispiele seien hier genannt:
– LendforPeace.org vermittelt Kleinkredite an Unternehmer in der West Bank.
– Vittana spezialisiert sich auf Kredite für Studenten.
– Babyloan refinanziert Mikrokredite auf Eurobasis, wobei die Partner-MFIs die Rückzahlung garantieren. Geldgeber aus dem Euroraum tragen hier also weder Wechselkurs- noch empfängerbezogene Ausfallrisiken.
– Novica vermittelt ohne Zwischenschaltung von MFIs zinslose Kredite an Kunsthandwerker.
– Wokai mobilisiert Mittel für Kleinkredite in China, das Geld wird allerdings nicht an die Förderer zurückgezahlt. Sie können lediglich mehrmals bestimmen, wofür ihr Geld verwendet wird, bevor es dann zur Verfügungsmasse der Partner-MFIs wird.
– Bei United Prosperity beteiligen sich Unterstützer an Kreditgarantien zugunsten (bislang nur) einer indischen MFI. Diese finanziert dann mit von lokalen Banken eingeworbenen, die Garantiesumme deutlich übersteigenden Mitteln die vorgestellten Mikrokredite. Zukunftsträchtig ist an diesem Modell die Kooperation mit dem formalen Bankensektor.
Schließlich gibt es auch zwei Plattformen, die den Geldgebern Zinsen versprechen. Dabei handelt es sich um die Websites der dänischen Organisation MYC4 und der nur für US-Investoren geöffneten eBay-Tochter Microplace. Microplace verzichtet allerdings von vornherein auf die Attraktivität von p2p („person to person“) und bietet nur indirekte Investitionen in einzelne MFIs an.
Sicherlich ist gerade p2p aber einer der faszinierendsten Aspekte der neuen Internetmöglichkeiten. Dabei erlaubt die beinahe erreichte Ubiquität des Internets noch eine eher ungewohnte Form der Bilateralität: Seit Juni 2009 stellt Kiva auch Kreditwünsche von Kleinunternehmern in den USA vor – und die Finanzierung kommt, wenngleich zu eher kleinen Teilen, unter anderem von Förderern in Indonesien, den Philippinen und sogar der DR Kongo.