Europa

Bruchstelle

Die meisten südasiatisch-stämmigen Briten wollten, dass das Königreich EU-Mitglied bleibt. Fremdenfeindlichkeit und Rassismus werden schlimmer, und viele Migranten fragen sich, was die Zukunft bringen wird. Voraussichtlich werden Identitätspolitik und religiöser Fundamentalismus zunehmen – in Europa und in Asien.
Wegen wachsender Fremdenfeindlichkeit wechselte die konservative britische Politikern Saeeda Warsi vor dem Referendum vom Leave- ins Remain-Lager. Yui Mok/empicspicture-alliance Wegen wachsender Fremdenfeindlichkeit wechselte die konservative britische Politikern Saeeda Warsi vor dem Referendum vom Leave- ins Remain-Lager.

Zunächst unterstützte Saeeda Warsi, die ehemalige Geschäftsführerin der Konservativen Partei, vor dem Referendum die Ausstiegskampagne. Sie änderte dann wegen ausufernder Xenophobie ihre Haltung, aber da hatten die Brexit-Befürworter schon etwa 30 Prozent der britischen Südasiaten für sich gewonnen. Viele meinten, der Ausländerhass, den die „Brexiteers“ auslösten, beträfe nur Polen und andere Osteuropäer.

Tatsächlich wurde ein dumpfer Mix hässlicher Emotionen deutlich – koloniale Überheblichkeit, Fremdenfeindlichkeit, Paranoia und Rassismus. Im Kern wollten sich die Brexiteers von sozialer Vielfalt befreien, und das war 70 Prozent der südasiatischen Briten die ganze Zeit klar. Die Zeichen waren deutlich genug. Indische Kinder sind es gewöhnt, dass Altersgenossen in ihrer Nähe mitteilen, sie röchen Curry. Pakistaner werden „Pakis“ genannt. Der Ungeist früherer rassistischer Umtriebe lebt in der UK Independence Party und anderen Leave-Organisationen weiter.

Dass die Südasiaten in ihren national definierten Ghettos unter sich bleiben und wenig Kontakt untereinander haben, macht die Lage schlimmer. Pakistaner, Inder, Bangladeschis, Nepalis und Sri Lanker halten in Britannien nicht zusammen. Sie pflegen ihre eigenen Versionen von Chauvinismus, Spalterei und religiösem Fundamentalismus.

Eine Woche vor dem Referendum wurde Jo Cox getötet. Sie hatte als Parlamentsabgeordnete der Labour-Partei für die EU-Mitgliedschaft geworden. Ihr Mörder schrie: „Britain first!“ Bisher sieht es nicht so aus, als gehöre er zu der gleichnamigen Organisation, die prominente Muslime bedroht und schon in Londons größter Moschee für Ärger gesorgt hat. Sie bietet in den Waliser Bergen „Messer-Selbstverteidigungs-Camps“ an. Sie hat nur ein paar hundert Mitglieder, aber fast 1,5 Millionen Likes auf Facebook. Es heißt, es gebe in Britannien rund 100 Hass-Verbrechen im Monat – Tendenz seit der Volksabstimmung steigend. An zuverlässigen Statistiken mangelt es jedoch.

Derweil versuchen Regierungen, Manager und Medien abzuschätzen, welche ökonomischen Folgen der Brexit haben wird. Unter den Auslandsinvestoren im Königreich stellen Inder die drittgrößte Gruppe. An die 6000 indischen Ärzte und 20 000 indische Pflegekräfte arbeiten für den National Health Service. Es gibt viele gut verdienende indische Steuerberater, Rechtsanwälte und Unternehmensmanager. Sind sie nach dem Brexit noch willkommen? Das kann niemand sagen. Werden die Heimatüberweisungen der Migranten einbrechen? Auch das weiß niemand.

Britannien ist der wichtigste Außenhandelspartner für Pakistan, Sri Lanka, Bangladesch und Nepal. London hat diesen Ländern geholfen, in den Beziehungen zur EU den „GPS plus“-Status zu erreichen. GPS bedeutet „Generalised Scheme of Preferences“ und steht für geringere oder sogar gar keine Zölle. London war zudem bisher ein wichtiger Geber von Entwicklungshilfe (official development assistance – ODA). Welche Ziele wird die britische Regierung künftig verfolgen, und wird sie noch internationalen Einfluss haben? All das ist völlig offen.

Es scheint allerdings klar, dass die Brexit-Entscheidung extremistische Haltungen und Identitätspolitik stärkt. Afzal Khan ist britischer Europa-Abgeordneter pakistanischer Abstammung. Aus seiner Sicht ist Brexit ein schlechtes Signal in Bezug auf die britische Vorbildrolle, was Modernität und kulturelle Vielfalt betrifft. Dinesh Bhattarai, ein ehemaliger UN-Botschafter Nepals, sagt, das Referendum könne in seiner Heimat das „Selbstbewusstsein der Radikalen und Fanatiker stärken“ und stelle grundsätzlich „die gesamte liberale Ordnung“ in Frage. Khaled Farooqi, ein pakistanischer Journalist in Brüssel, sagt: „Brexit ermutigt und stärkt sämtliche religiösen Extremisten und Radikale in Britannien und Pakistan. Für sie ist das ein Gottesgeschenk.“


Ceciel Shiraz Raj ist Mitglied der Human Rights Commission of Pakistan und des Pakistan-India Peoples Forum for Peace and Democracy. Er lebt in Brüssel.
shirazraj@hotmail.com

 

Governance

Um die UN-Ziele für nachhaltige Entwicklung zu erreichen, ist gute Regierungsführung nötig – von der lokalen bis zur globalen Ebene.