Editorial

Markt- und Politikversagen

Im Gesundheitswesen versagt das normale Spiel von Nachfrage und Angebot aus mehreren Gründen. Auf der Nachfrageseite sind Patienten bereit, alles zu geben, um ihr Leben zu verlängern, so dass sie auch horrende Preise akzeptieren. Die Angebotsseite ist derweil extrem undurchsichtig: Kein Laie kennt sich mit den Therapieoptionen aus oder kann beurteilen, was ein Arzt oder ein Heilpraktiker wirklich draufhat. Das ist, grob vereinfacht, der Grund, warum die Kosten im Gesundheitswesen immer steigen.

Wo Märkte versagen, ist der Staat gefragt – und so ist es kein Wunder, dass über die Gesundheitspolitik in reichen Nationen ständig Streit herrscht. In Entwicklungsländern dagegen, wo es armutsbedingt an kaufkräftiger Nachfrage fehlt, passiert etwas anderes: Der professionelle Markt versorgt nur wohlhabende Minderheiten. Staatliche und karitative Dienste erreichen mehr schlecht als recht einen Teil der übrigen Bevölkerung, und der Rest wird nicht versorgt. Die breite Mehrheit ist derweil oft Gesundheitsrisiken ausgesetzt, die vermeidbar wären. Deshalb lesen sich die UN-Millenniumsziele streckenweise wie eine gesundheitspolitische Agenda mit ihren Richtgrößen für Kinder- und Müttersterblichkeit oder für HIV/Aids, Tuberkulose und Malaria.

Arzneimittel sind eine wichtige Basis der modernen Gesundheitsversorgung. Sie sind nicht alles, aber ohne sie können Ärzte wenig bewirken. Pharmaka haben zudem einen hohen Symbolwert – nicht zuletzt, weil es oft um Markenprodukte von international bekannten Konzernen geht.

Vor zehn Jahren tobte weltweit eine öffentliche Debatte darüber, wie südafrikanische Aids-Patienten mit teuren patentgeschützten Medikamenten versorgt werden könnten. Sie endete in einem Kompromiss. Die WTO-Mitglieder beschlossen beim Gipfel in Doha 2001 im Konsens, dass jedes Land Pharmapatente unter bestimmten Bedingungen mit Zwangslizenzen brechen darf, um die bezahlbare Arzneimittelversorgung aus eigener Produktion oder durch Importe sicherzustellen. Um zu diesem Mittel zu greifen, muss es belegen, dass es erfolglos mit dem Patentinhaber verhandelt hat. Dieser muss an Zwangslizenzerlösen beteiligt werden, kann den Preis aber nicht bestimmen.

Der Weg zu preisgünstigen Pharmaka ist also offen. Dennoch hapert es vielerorts an Medikamenten – und zwar nicht nur an patentgeschützten Mitteln. Die große Masse der grundlegenden Standardarzneien unterliegt keinem Urheberschutz mehr. Und für die am wenigsten entwickelten Länder stellt sich die Frage nach intellektuellem Eigentum ohnehin noch nicht. Sie müssen die WTO-Regeln zu diesem Thema erst von 2016 an befolgen. Die traurige Wahrheit ist, dass die meisten Entwicklungsländer keine generische Pharmaproduktion aufgebaut haben. Sie wäre der Schlüssel zum Erfolg. Für arme Länder führt genau wie für gesetzliche Krankenkassen kein Weg an preisgünstigen Nachahmerpräparaten vorbei – und Regierungen steht das WTO-konforme Instrument der Zwangslizenzen offen. Keine Frage: Hätten die Entwicklungsländer Produktionskapazitäten für Generika, würden sie Zwangslizenzen häufiger nutzen. Dass sie nicht so weit sind, zeugt von
Politik- statt Marktversagen.