Ernährungssicherheit
Statistische Fortschritte
Das International Food Policy Research Institute (IFPRI) hat den Welthungerindex (WHI) nun zum elften Mal erstellt. Die Rechnungen beruhen auf vier Indikatoren, die die Ernährungslage der Menschen widerspiegeln: Unterernährung, Auszehrung (zu geringes Gewicht im Verhältnis zur Körpergröße) von Kindern, Wachstumsverzögerungen und Kindersterblichkeit. Der so errechnete aktuelle Index für alle Entwicklungs- und Schwellenländer beträgt nun 21,3. Im Jahr 2000 betrug der Vergleichswert noch 30. Die Autoren folgern daraus, dass sich die Lage um 29 Prozent verbessert hat. Das IFPRI veröffentlicht den WHI-Report jährlich in Zusammenarbeit mit den zivilgesellschaftlichen Organisationen Concern Worldwide aus Irland und Welthungerhilfe aus Deutschland.
Auf den ersten Blick weisen aktuelle Zahlen Fortschritte auf. In 22 Ländern ist der Index sogar halbiert worden – etwa in Ruanda, Kambodscha und Myanmar. Weltweit leiden den IFPRI-Schätzungen zufolge aber weiterhin 795 Millionen Menschen Hunger. Bärbel Dieckmann, die Präsidentin der Welthungerhilfe, bezeichnet das als inakzeptabel – zumal vor allem Kinder betroffen seien. In 50 von 118 untersuchten Länder schätzten die Experten die Situation als „ernst“ oder „sehr ernst“ ein.
Laut aktuellem Welthungerindex-Bericht sind acht Prozent aller Kinder in Entwicklungs- und Schwellenländern ausgezehrt. Zudem leide jedes vierte Kind an Wachstumsstörungen.
Besonders frustrierend findet Dieckmann Rückschläge im Kampf gegen den Hunger, wie sie bei einer Veranstaltung von Welthungerhilfe und KfW in Berlin im Oktober sagte. So habe etwa das Erdbeben von 2010 in Haiti Fortschritte wieder zunichte gemacht. Nach dem verheerenden Hurrikan Matthew warnte die Welthungerhilfe kürzlich, die beeinträchtigte Wasser- und Sanitärversorgung mache Cholera wieder wahrscheinlicher.
Auch Gewaltkonflikte führen zu Hunger. Wenn Menschen vor kriegerischen Auseinandersetzungen in arme Nachbarländer flöhen, sagt Dieckmann, verschlechtere sich dort die Ernährungslage.
Der Tschad und die Zentralafrikanische Republik sind laut WHI-Ranking derzeit am schlimmsten von Hunger betroffen. In den Tschad sind viele Sudanesen geflohen, und die Zentralafrikanische Republik wurde von einem Bürgerkrieg erschüttert.
Auch in Namibia und Sri Lanka zeigen die Statistiken Probleme auf. Für diese beiden Länder hat sich der WHI-Wert seit 2000 am wenigsten verbessert. Die IFPRI-Fachleute erklären das in Namibia mit Dürren, Überflutungen und unregelmäßigen Regenfällen, was sich auf Getreideproduktion und Viehhaltung auswirke. In Sri Lanka verhinderten derzeit vor allem Krankheiten die Aufnahme von Nährstoffen.
Datenmangel beeinträchtigt die Genauigkeit des WHI. Die Statistiker teilen mit, sie hätten für 13 Länder aus diesem Grund keinen aktuellen WHI-Wert erstellen können. Darunter waren Burundi, die Demokratische Republik Kongo, Syrien und Eritrea, die von Gewaltkonflikten gezeichnet sind. Aus Dieckmanns Sicht sind genau diese Länder aber „die eigentlichen Herausforderungen“, weil dort Unterernährung und andere WHI-Indikatoren vermutlich besonders häufig seien. Für Eritrea konnte zuletzt 2014 ein WHI-Wert errechnet werden – seinerzeit war es der zweitschlechteste Wert weltweit.
Aus Sicht der Slow-Food-Aktivistin Ursula Hudson tragen auch Verbraucher in reichen Ländern Verantwortung für die weltweite Ernährungssicherheit. Die Industrienationen sollten ihr Konsumverhalten ändern. Der Fleischkonsum sei ein großes Problem – unter anderem, weil wertvolles Getreide, das Menschen ernähren könnte, als Futtermittel verwendet werde. Zudem müsse stärker auf die faire Bezahlung von Landarbeitern geachtet werden.
Lea Diehl
Link
International Food Policy Research Institute, Concern Worldwide und Welthungerhilfe: Welthungerindex 2016.
http://www.welthungerhilfe.de/fileadmin/user_upload/Themen/Welthungerindex/WHI_2016/Welthunger-Index-2016-Hunger-beenden-Welthungerhilfe.pdf