Demokratieentwicklung
Malawi vor der Wahl
Nach der Unabhängigkeit von britischer Kolonialherrschaft 1964 übernahm Kamuzu Banda in Malawi die Macht. Er regierte Malawi in den folgenden 30 Jahren als Einparteienstaat mit diktatorischen Befugnissen. Malawi wurde beschrieben als ein Land, „in dem Schweigen herrscht“, ohne bürgerliche Freiheitsrechte. Im Juni 1993 sprach sich die Bevölkerung in einem Referendum schließlich für die Einführung einer Mehrparteiendemokratie aus. In den darauffolgenden Parlaments- und Präsidentschaftswahlen im Mai 1994 wurde Banda abgewählt und von Bakili Muluzi als Präsident abgelöst. Die Wahlen sind seit 1994 im Wesentlichen friedlich und ordnungsgemäß verlaufen, mit einer geordneten Machtübergabe bei Ausscheiden eines Präsidenten aus dem Amt. Der friedliche Übergang von der Diktatur Bandas zu einer demokratischen Staatsverfassung ist eine große historische Leistung. Aktuell sind allerdings deutlich autoritäre Tendenzen, etwa in der NGO-Gesetzgebung, und eine Zunahme der politisch motivierten Gewalt zu verzeichnen.
Der Präsident und Vizepräsident werden als Tandem direkt gewählt. Eine einfache Mehrheit ist ausreichend. Eine Stichwahl gibt es nicht. Die Amtszeit beträgt fünf Jahre, eine einmalige Wiederwahl ist möglich. Das Parlament (National Assembly) setzt sich aus den in 193 Wahlkreisen direkt gewählten Abgeordneten zusammen (siehe Kasten).
Mitte Februar 2019 endete die Nominierungsfrist für die Präsidentschaftswahlen am 21. Mai 2019. Neun Kandidaten bewerben sich um das Amt des Präsidenten. Ernsthafte Erfolgsaussichten haben aber nur drei: der amtierende Präsident Arthur Peter Mutharika (DPP), der sich zur Wiederwahl stellt, der amtierende Vizepräsident Saulos Chilima, der die Regierungspartei Mitte 2018 verlassen und eine eigene Partei (UTM) gegründet hat, und der Führer der größten Oppositionspartei (MCP) Lazarus Chakwera. Den weiteren Kandidaten werden keine Chancen eingeräumt. Die frühere Präsidentin Joyce Banda (PP), die nach der Wahlniederlage 2014 und Rückkehr aus dem selbstgewählten Exil zunächst ihre erneute Bewerbung angekündigt und die Wahlunterlagen eingereicht hatte, hat diese später zurückgezogen.
Der positive Eindruck vom Wahlsystem relativiert sich bei genauerer Betrachtung: Der Präsident wird mit einfacher Mehrheit gewählt. Bei den Wahlen 2014 erhielt Präsident Mutharika 36,4 Prozent der abgegebenen Stimmen. Die Wahlbeteiligung dürfte bei knapp über 60 Prozent gelegen haben. Bezogen auf die wahlberechtigte Bevölkerung über 18 Jahre errechnet sich ein Stimmanteil von knapp über 20 Prozent. Das ist eine sehr schwache legitimatorische Grundlage für die Präsidentschaft. Die in Mutharikas Wahlprogramm versprochene 50-Prozent+1-Wahlrechtsreform mit einer Stichwahl zwischen den beiden Kandidaten mit den meisten Stimmen wurde fallengelassen und im Parlament nicht zur Abstimmung gebracht.
Eine grundlegende Wahlrechtsreform einschließlich der Einführung eines 50-Prozent+1-Wahlsystems war eine Kernforderung in dem 10-Punkte-Ultimatum, das Vertreter der Zivilgesellschaft im April 2018 der Regierung übergeben haben. Erfolg hatte es nicht. Machterhalt hat Priorität. 2019 gelten also die gleichen Spielregeln wie zuvor. Die deutlich geringere Beteiligung am Registrierungs- und Verifizierungsprozess als Voraussetzung für die Teilnahme an der Wahl deutet darauf hin, dass die Wahlbeteiligung 2019 noch geringer als vor fünf Jahren ausfallen wird.
Große Unzufriedenheit der Menschen
Es gibt für den Rückgang der Wahlbeteiligung keine eindimensionale Erklärung. Der zentrale Faktor für den Rückgang der Wahlbeteiligung dürfte die große Unzufriedenheit mit der politischen, wirtschaftlichen und sozialen Situation sein. Die Erwartungen der Menschen wurden nicht erfüllt. Das African Business Magazine überschrieb seinen Bericht zur Unabhängigkeitsfeier 2014 mit der Schlagzeile „50 Jahre Stillstand“. Auch Präsident Mutharika gestand in seiner Rede zum 50. Jahrestag der Unabhängigkeit 2014 ein, dass die Malawier heute durchschnittlich ärmer sind als unter der Kolonialherrschaft. Dies betonten auch die katholischen Bischöfe in einem Hirtenbrief im April 2018, verbunden mit der Forderung eines grundlegenden politischen Richtungswechsels. Im Juni 2018 veröffentlichte eine der beiden großen Zeitungen des Landes eine Umfrage, nach der 25 Jahre nach dem Referendum über die Einführung des Mehrparteienstaats 81 Prozent der Malawier mit der Demokratie unzufrieden und der Überzeugung sind, sie hätte nichts zur sozialen und wirtschaftlichen Entwicklung des Landes beigetragen. Nach einer Umfrage von Afrobarometer sprechen sich 40 Prozent der Bevölkerung dafür aus, die politische Führung anders als durch Wahlen zu bestimmen. In dieses Bild passt es, dass der 14. Juni, der Tag des Referendums, als Feiertag (Freedom Day) abgeschafft und der Geburtstag Kamuzu Bandas am 14. Mai als Feiertag (Kamuzu Day) wiedereingeführt wurde.
Der Übergang von der Diktatur Bandas zu einer Mehrparteiendemokratie wird aus Sicht der politisch-ökonomischen Analyse zutreffend als „Transition ohne strukturelle Transformation“ beschrieben. Oxfam (2018) und die Weltbank (2018) kommen gleichermaßen zu der Schlussfolgerung, dass die kleine politische und wirtschaftliche Elite des Landes die Politik einschließlich der Regierungs- und anderer öffentlichen Institutionen dominiert und ihre Machtposition in einer Art „Wettbewerbsklientelismus“ (Weltbank, 2018) nutzt. Sie gestaltet die Wirtschaft zu einer auf kurzfristige Profitmaximierung ausgerichteten Rentenökonomie. Eine an langfristigen Entwicklungszielen orientierte strukturelle wirtschaftliche Transformation hat nicht stattgefunden und zeichnet sich auch nicht ab.
Eine schwache Regierungsführung und schwache Institutionen sind eine, wenn nicht die zentrale Ursache für Malawis geringen Entwicklungsstand. Die Stärkung der Governance der politischen und staatlichen Institutionen ist deshalb eine entscheidende Voraussetzung für eine transformative, auf einen langfristig nachhaltigen Wachstumsprozess ausgerichtete Entwicklungsstrategie. Besonders wichtig ist die Stärkung des öffentlichen Finanzmanagements, einschließlich der Ausbildung effizienter interner und externer Kontrollmechanismen sowie einer Kultur der öffentlichen Rechenschaftslegung. Die Veruntreuung öffentlicher Gelder und eine systemische, in der Rentenökonomie verwurzelte Korruption (Weltbank, 2018) ist ein Kernproblem der staatlichen Verwaltung.
2013 machte der sogenannte Cashgate-Skandal Schlagzeilen. Zwischen April und September 2013 wurden in verschiedenen Ministerien umgerechnet 32 Millionen Dollar veruntreut. Nach der Aufdeckung veranlasste die damalige Präsidentin Joyce Banda eine Untersuchung, im Zuge derer eine Audit-Firma für den Zeitraum von 2009 bis 2014 nicht belegte Ausgaben von 1,25 Milliarden Dollar ermittelte. Dieser Betrag wurde später auf 507 Millionen Dollar reduziert. Die politische und juristische Aufarbeitung des Cashgate-Skandals ist – auch nach fünf Jahren – noch nicht abgeschlossen. Der Direktor der Antikorruptionsbehörde Reyneck Matemba warnte im September 2018 eindringlich davor, das Problem der Korruption zu leugnen. Matemba sagte wörtlich: „Alle Ministerien und Behörden sind infiziert. Es gibt keine staatliche Institution, die korruptionsfrei ist.“
Der Ibrahim Index of African Governance 2018 (IIAG 2018) der Mo Ibrahim Foundation gibt Malawi geteilte Noten. Insgesamt nimmt Malawi mit Rang 19 einen guten Mittelplatz unter 54 Staaten ein, mit guten Bewertungen unter anderem im Bereich der Justiz. Bei der Korruption im öffentlichen Sektor sieht man für den Zeitraum 2008 bis 2017 dagegen einen sich deutlich verschlechternden Trend (mit nur noch 22 von 100 Punkten). Das deckt sich mit den Umfragen von Afrobarometer, nach denen eine Mehrheit der Bevölkerung der Regierung schlechte Noten bei der Korruptionsbekämpfung gibt und eine starke Zunahme der Korruption wahrnimmt. Im jüngsten Transparency International Corruption Perception Index steht Malawi mit nur 32 von 100 Punkten auf Rang 120.
Trotz allem, wenn auch nur langsam, Malawi ändert sich. Der ehemalige norwegische Botschafter Asbjorn Eidhammer (2017) schreibt: „Die wichtigste Veränderung ist, dass es eine junge Generation gibt, die Veränderung will.“ Die jungen Wähler haben die Macht zur Veränderung in ihren Händen, sie stellen die Mehrheit. 55 Prozent der Malawier, die sich für die Wahl registriert haben, sind unter 35 Jahre. Es ist zu hoffen, dass sie von ihrem Wahlrecht auf allen Ebenen – bei der Wahl des Präsidenten, der Abgeordneten und der lokalen Gemeinderäte – Gebrauch machen und sich auch danach politisch engagieren.
Rolf Drescher ist Mitarbeiter der GIZ. Er leitet in Lilongwe das Vorhaben „Stärkung des öffentlichen Finanzmanagements in Malawi“. Der Beitrag gibt ausschließlich seine persönliche Meinung wieder.
rolf.drescher@giz.de
rolf.drescher@t-online.de
Links und Literatur
World Bank, 2018: Malawi – Systematic country diagnostic: breaking the cycle of low growth and slow poverty reduction.
http://documents.worldbank.org/curated/en/723781545072859945/pdf/malawi-scd-final-board-12-7-2018-12122018-636804216425880639.pdf
Norwegian Institute of International Affairs, 2017: Malawi: a political economy analysis.
https://brage.bibsys.no/xmlui/bitstream/handle/11250/2461122/NUPI_rapport_Malawi_Tostensen.pdf?sequence=1&isAllowed=y
Oxfam, 2018: Closing the divide in Malawi, how to reduce inequality and increase prosperity for all.
https://d1tn3vj7xz9fdh.cloudfront.net/s3fs-public/file_attachments/bp-closing-divide-malawi-inequality-250418-en.pdf
Eidhammer, Asbjorn 2017: Malawi, a place apart. Lilongwe, Malawi: Logos-Open Culture.