Globale Statistiken
Sorgfältige Datenverwaltung
[ Von Angelika Wirtz ]
Forscher, Regierungen und nichtstaatliche Organisationen (NROs) sowie die Versicherungs- und Finanzwirtschaft greifen auf Datenbanken zurück, die durch Naturkatastrophen entstandene Schäden registrieren. Derzeit gibt es drei derartige globale Schadendatenbanken: NatCatSERVICE (Munich Re), Sigma (Swiss Re) und EM-Dat (CRED, Centre for Research on the Epidemiology of Disasters).
Die Datenbanken arbeiten teilweise mit unterschiedlichen Standards und Definitionen. So ist der Schwellenwert eines Schadenereignisses jeweils anders definiert.
– Für Sigma kommt es auf den inflationsbereinigten volkswirtschaftlichen Schaden an sowie die Mindestzahl von 20 Todesopfern oder Vermissten.
– EM-Dat erfasst alle Ereignisse, bei denen mindestens eines der folgenden Kriterien erfüllt ist: zehn Todesopfer, 100 Betroffene, Deklaration des Notstands und Bitte um internationale Hilfe.
– NatCatSERVICE registriert Ereignisse, sobald ein Personen- und/oder Sachschaden entstanden ist, und stuft sie dann – je nach finanziellen oder humanitären Auswirkungen – in sieben Katastrophenklassen ein: vom Naturereignis mit geringen volkswirtschaftlichen Folgen bis hin zur großen Naturkatastrophe.
Die Datenbank der Munich Re umfasst derzeit etwa 28 000 Datensätze. Der älteste Eintrag ist der Vesuvausbruch vom 24. August im Jahr 79, bei dem Herkulaneum und Pompeji zerstört wurden.
Historische Aufzeichnungen wie diese sind aber selten. Zwischen 79 und 1899 wurden bislang nur 1500 Katastrophen erfasst. Trendanalysen lassen sich daraus nicht erstellen, denn sie sind lückenhaft und nur für bestimmte Regionen und Ereignisse verfügbar. Erdbeben, die in den letzten zweitausend Jahren in China stattfanden, sind beispielsweise sehr gut beschrieben und erfasst. In Amerika begann man erst etwa Mitte des 19. Jahrhunderts mit systematischen Aufzeichnungen.
Einen weltweiten vollständigen und zuverlässigen Datensatz gibt es seit 1980; seither sind auch Analysen auf globaler, kontinentaler oder Landesebene möglich. Für Deutschland und die USA etwa gibt es seit 1970 komplette Datensätze. Für Langzeitanalysen eignen sich die „großen“ Naturkatastrophen seit 1950 am besten. Über sie wurde immer ausführlich und zuverlässig berichtet.
Angelehnt an die Definition der UN übersteigt eine „große Naturkatastrophe“ die Selbsthilfefähigkeit der betroffenen Region und macht überregionale oder internationale Hilfe erforderlich. Es handelt sich also dann um eine „große Naturkatastrophe“, wenn es Tausende Tote und Hunderttausende Obdachlose gibt oder wenn die Gesamtschäden extrem hoch sind. Zwischen 1950 und 2009 wurden 285 derartige Katastrophen im NatCatSERVICE erfasst. Seitdem gab es nur 1952, 1958 und 2009 keine „großen Naturkatastrophen“.
Das auslösende Ereignis ist zentral
Hurrikan, Taifun, Tsunami oder Hitzewelle – alle Ereignisse müssen sinnvoll und wissenschaftlich korrekt in der Datenbank abgelegt werden. Als was ein Ereignis zu betrachten ist, ist aber nicht immer eindeutig. Ist beispielsweise ein von einem Taifunausläufer verursachter sintflutartiger Regen, der alles unter Wasser setzt, eine Überschwemmung oder ein Sturm? Und ist ein Tsunami mit Hunderttausenden Todesopfern, wie 2004 im Indischen Ozean, als Tsunami-Überschwemmung oder – entsprechend dem auslösenden Ereignis – als Erdbeben zu betrachten? Das sind alltägliche Fragen für die Betreiber von Datenbanken.
Auch um die Elementarschadenereignisse auswertbar und mit anderen Datenbanken vergleichbar zu machen, sind einheitliche Richtlinien und Terminologien essentiell. Daran wird gearbeitet: Munich Re, CRED und Swiss Re haben mit dem UNDP, dem Asian Disaster Reduction Center und der International Strategy for Disaster Reduction (ISDR) 2007 eine einheitliche Terminologie erarbeitet. Seither sind Naturgefahren in vier Hauptgruppen unterteilt:
– geophysikalische,
– meteorologische,
– hydrologische sowie
– klimatologische Ereignisse.
Diese Hauptgruppen werden untergliedert in Ereignisfamilien (wie Stürme), die wiederum Ereignistypen (wie tropischer Sturm, extratropischer Sturm, konvektive Ereignisse) und sogenannten Sub-Ereignistypen (etwa Tornado) zugeordnet werden (siehe Kasten).
Weitere Gruppen beinhalten biologische und extra-terrestrische Ereignisse, wie beispielsweise Meteoriteneinschläge.
Katastrophen werden streng nach Auslöser registriert. So wird der Taifun, der vor allem zu Überflutungen geführt hat, datenbanktechnisch als „meteorologisches Ereignis/Sturm/Tropischer Sturm/Überschwemmung“ verwaltet. Auswertungen sind nun auf allen Ebenen möglich. So kann die Anzahl meteorologischer Ereignisse oder die Anzahl von Überschwemmungen, die ein tropischer Sturm ausgelöst hat, ermittelt werden. Allein durch ein solches
System werden Einträge verschiedener Datenbanken vergleichbar.
Betrachtet man die Anzahl aller Ereignisse in den Datenbanken NatCatSERVICE und Em-Dat, gibt es relevante Unterschiede nur zwischen meteorologischen und hydrologischen Ereignissen. Im NatCatSERVICE wurden aufgrund ihres finanziellen Schadens mehr Sturmereignisse aufgenommen, die die Eingangskriterien von EM-Dat – Anzahl Todesopfer und/oder Ausruf des Notstands – nicht erfüllten.
Glaubwürdige Schadeninformationen
Wesentlich sind für den NatCatSERVICE Informationen über monetäre Schäden. Es geht einerseits um den versicherten und andererseits um den gesamtwirtschaftlichen Schaden. Jedes Ereignis erhält eine Information zur Schadengrößenordnung.
Meist gibt es nach einer Katastrophe relativ schnell glaubwürdige Informationen über die Anzahl der verletzten Personen oder Todesopfer. Auch versicherte Schäden sind meist zuverlässig, da sie auf Schadenmeldungen der versicherten Personen und entsprechend auf realen Schadenzahlungen basieren. Volkswirtschaftliche Schäden sind dagegen schwerer einzuschätzen.
Oft veröffentlichen Medien recht schnell Schätzungen, die aber so früh kaum richtig sein können. Immer wieder wird auch versucht, durch die Angabe entsprechend hoher Schäden an Hilfsleistungen zu kommen. Normalerweise erstellen Regierungsstellen, UN, EU, Universitäten, Welt- oder Entwicklungsbanken nur nach besonders großen oder spektakulären Naturkatastrophen genaue Schadenanalysen. Also bleiben bei vielen kleineren Ereignissen die ersten veröffentlichten Zahlen oft jahrelang oder sogar für immer als richtig stehen.
Direkte und indirekte Schäden
Auch der Begriff „volkswirtschaftlicher Schaden“ wird nicht einheitlich benutzt. Es ist wichtig, zwischen „direkten Schäden“, „indirekten Schäden“ und „Folgeschäden“ zu differenzieren.
Direkte Schäden sind sofort sichtbare und zählbare Schäden (etwa an Wohngebäuden, Inventar, Schulen, Fahrzeugen, Maschinen, Vieh). Veranschlagt werden immer die Wiederbeschaffungskosten inklusive der Kosten für die Schadenbeseitigung. Sehr schwierig ist es, den Wert historischer Gebäude einzuschätzen. Indirekte Schäden sind zum Beispiel erhöhte Transportkosten wegen zerstörter Infrastruktur, der Verlust von Arbeitsplätzen oder auch Mieteinbußen. Folgeschäden (Secondary Costs) wiederum sind volkswirtschaftliche Auswirkungen wie Steuereinbußen, Produktionsrückgang, geringeres Bruttoinlandsprodukt oder Währungsverluste.
Seit 1980 hat NatCatSERVICE rund 18 000 Schadenereignisse registriert. Nur bei einem Viertel davon ist der volkswirtschaftliche Schaden offiziell belegt. Die Schäden der übrigen Ereignisse werden auf Basis von Schadenzahlungen der Versicherungen und weltweiten Vergleichen mit ähnlichen Ereignissen geschätzt. Das bedeutet: In der Regel werden direkte und indirekte volkswirtschaftliche Schäden aufgenommen; Folgeschäden bleiben unberücksichtigt.
Quellen und Datenqualität
In den letzten Jahren ist es nicht zuletzt dank des Internets sehr viel einfacher geworden, Daten über Naturereignisse zu recherchieren. Gerade deshalb sind aber seriöse Quellen besonders wichtig. Für den NatCatSERVICE werden etwa 200 Quellen herangezogen, die je nach Region und Ereignistyp als erstklassig identifiziert wurden. Die fünf Hauptquellen sind:
– versicherungswirtschaftliche Informationen,
– meteorologische und seismologische Dienste,
– Berichte und Gutachten von Hilfsorganisationen oder NROs, Regierungen, EU, UN, Welt- und Entwicklungsbanken,
– wissenschaftliche Analysen und Studien sowie
– Nachrichtenagenturen.
Trotz erstklassiger Quellen gibt es immer wieder Probleme wie versehentliche Falschmeldungen, falsche Umrechnungsfaktoren oder Doppelzählungen von Todesopfern. Oft werden solche Daten übernommen und weiter gestreut. Die Betreiber der Datenbanken unterziehen die Zahlen deshalb strengen Qualitätsprüfungen. Im Validierungsverfahren werden Qualität und Anzahl der verwendeten Quellen sowie die Plausibilität der Schadenzahlen und Ereignisbeschreibung geprüft. Dem Qualitätsstandard nicht entsprechende Datensätze werden nicht weiter verwendet.
Weil sich viele Nutzer auf diese Daten beziehen, müssen die Qualitätsstandards stimmen. Die Methodik der Erfassung und Schadenbewertung sollte über die Zeit konsistent und für den Nutzer transparent sein und der Datenbestand kontinuierlich geprüft werden.
Datenbank-Betreiber werden für die Vergleichbarkeit und Transparenz der Datenbankstrukturen und Datensätze weitere Standards erarbeiten. Eine internationale Hierarchie und Terminologie der Naturgefahren gibt es bereits. Aktuelle Initiativen arbeiten an Geokodierungsrichtlinien und Methoden der Schadenschätzung von Naturkatastrophen.