Entwicklung und
Zusammenarbeit

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Weltagenda

Qualitativer Sprung

Die Weltgemeinschaft braucht über 2015 hinaus gemeinsame Entwicklungsziele, schreibt Dirk Niebel, Bundesminister für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung. Armutsbekämpfung und Nachhaltigkeit müssen dabei denselben Rang bekommen.
Gemeinsames Engagement: Dirk Niebel zusammen mit Bill Gates und Mark Dybul, dem Exekutivdirektor des Global Fund to Fight AIDS, Tuberculosis and Malaria beim Weltwirtschaftsforum in Davos im Januar 2013. Jean-Christophe Bott/picture-alliance/dpa Gemeinsames Engagement: Dirk Niebel zusammen mit Bill Gates und Mark Dybul, dem Exekutivdirektor des Global Fund to Fight AIDS, Tuberculosis and Malaria beim Weltwirtschaftsforum in Davos im Januar 2013.

Die im Jahr 2000 verabschiedete Millenniumserklärung der Vereinten Nationen besaß visionären Charakter. Die auf ihr aufbauenden Millenniumsentwicklungsziele haben eine große Mobilisierungskraft entfaltet und die Entwicklungszusammenarbeit geprägt wie kaum eine Agenda zuvor: Armutsreduzierung und menschliche Entwicklung sind ins Zentrum internationaler Zusammenarbeit gerückt; deutliche Entwicklungsfortschritte auch und gerade in vielen armen und instabilen Ländern wurden erreicht.

Aber da ist nicht nur Licht, es gibt auch Schatten: Einige Millenniumsziele werden nicht erreicht. Erfolge und Misserfolge, die Erfahrungen mit den Millenniumszielen sind für uns Ansporn, ein neues globales Zielsystem für Entwicklung für die Zeit nach 2015 zu vereinbaren. Dabei müssen wir die Themen Entwicklung und Nachhaltigkeit miteinander verbinden. Denn: Wo Dürren häufiger kommen und Ökosysteme geschädigt sind, leiden die Entwicklungschancen der Menschen. Wo Menschen ums tägliche Überleben kämpfen, hat der Schutz der Natur oft keine Priorität. Nachhaltigkeit lässt sich aber nur erreichen, wenn klassische Industrieländer, Schwellenländer und Entwicklungsländer ihre Wirtschaftsweise weiterentwickeln. Nur so erreichen wir den erforderlichen qualitativen Sprung.

Die neuen Entwicklungsziele werden nicht im luftleeren Raum verhandelt. Es gibt zahlreiche internationale Abkommen zu Entwicklung, Menschenrechten und Umwelt. Sie bilden den Rahmen und müssen nicht neu verhandelt werden. Das gilt auch für die wissenschaftlich anerkannten Grenzen der Leistungsfähigkeit unserer Ökosysteme – ob beim Klima, der Ozonschicht, dem Ressourcenverbrauch, der Abholzung von Regenwäldern, dem Fischfang oder der Biodiversität.

Die aktuellen Millenniumsentwicklungsziele haben große Stärken: Sie sind leicht verständlich und gut kommunizierbar, sie sind quantifiziert und zeitlich terminiert, sie basieren auf einem übersektoralen, interdisziplinären Entwicklungsverständnis, sie sind wegweisend, belassen aber die konkrete Umsetzungsstrategie bei den einzelnen Ländern. Diese Stärken soll ein neues Zielsystem ebenfalls aufweisen.

Zugleich muss es aber die Schwächen der Millenniumsentwicklungsziele überwinden: Die Dichotomie in Geber- und Nehmerländer ist überholt, es geht nicht um Entwicklungshilfe, sondern um echte Zusammenarbeit auf Augenhöhe. 2000 wurden wichtige Themen, wie beispielsweise Frieden und Sicherheit nicht oder wie ökologische Nachhaltigkeit nur unzureichend in den Zielrahmen aufgenommen. Zudem sollte die rein quantitative Messung der Zielerreichung künftig durch eine qualitative Dimension ergänzt werden. Dazu gehört, die tatsächliche Entwicklungswirkung zu erfassen und in den Mittelpunkt der Bewertung zu rücken; schließlich sollen die Ziele nicht nur im globalen Maßstab ambitioniert sein, sondern auch für jedes Land. Dafür ist erforderlich, dass die globalen Ziele für jedes einzelne Land spezifiziert werden. Länder, die sich ohnehin auf einem selbsttragenden, positiven Pfad befinden, sollten ehrgeizigere Ziele anstreben.

Neue Entwicklungsziele entfalten ihre Kraft erst dann wirklich, wenn sie über Regierungszirkel hinaus Anerkennung finden. Staaten sind nicht die einzigen Akteure von Entwicklung! Deshalb ist es notwendig, frühzeitig auch Stimmen der Zivilgesellschaft, der Privatwirtschaft, der Megacities und ländlichen Räume einzubeziehen. Offene Konsultationsprozesse haben sich in der Vergangenheit bewährt, um die gesellschaftliche Legitimation weitreichender Ziele zu stärken. Die Vereinten Nationen sind dabei für mich der geeignete Ort, um sich über die neuen Entwicklungsziele zu verständigen und einen partizipativen Prozess zu organisieren.

Ohne der konkreten Formulierung der neuen Entwicklungsziele vorwegzugreifen, sollten wir uns in der Debatte die drei Grundprinzipien – Menschrechte, Chancengerechtigkeit, Nachhaltigkeit – vor Augen halten, die auch in der Millenniumserklärung zentrale Bedeutung haben. Diese sollten in den vier Dimensionen – soziale Entwicklung und Gleichberechtigung, ökologische Nachhaltigkeit, wirtschaftliche Entwicklung sowie Frieden und Sicherheit – als Ziel beziehungsweise wesentliche Voraussetzung konkretisiert werden. Ich bin überzeugt: Intelligent designte Ziele, ein partizipativer Prozess und eine inhaltliche Tragweite, die die Dimensionen eines menschenwürdigen Lebens in Einklang mit der Leistungsfähigkeit unserer Ökosysteme verbindet, können die internationale Gemeinschaft noch stärker mobilisieren. Das erfordert unser übergeordnetes Ziel: Allen Menschen die Chance auf ein Leben frei von Not zu ermöglichen – heute und morgen.

Die neuen Entwicklungsziele sollen nicht einfach das formulieren, was wir bei Fortschreibung langfristiger Trends ohnehin erreichen. Wir wollen auf einen höherwertigen Entwicklungspfad wechseln! Dafür sind politische Weichenstellungen erforderlich sowie eine ehrliche Debatte, ob dazu zusätzliche Ressourcen nötig sind und aus welchen Quellen diese kommen. Die Finanzierungsfragen stehen aber am Ende, wenn klar ist, wer welche Ziele anstrebt. Auch hier müssen wir innovativ sein.


Überkommene Dichotomie

Die alte Geber-Nehmer-Dichotomie ist überkommen. Neue Geber treten auf – Schwellenländer, die Wirtschaft, private Stiftungen, die Zivilgesellschaft. Zudem verfügen auch viele Entwicklungsländer über enorme inländische Ressourcen, die bislang noch nicht richtig aktiviert werden: illegale Kapitalabflüsse, Schwarzgeld und Korruption rauben vielen Ländern dringend benötigte Mittel, um die eigene Entwicklung selbstständig gestalten zu können.

Ein reflexhafter Ruf nach mehr Geld aus den OECD-Ländern wäre der Komplexität nicht angemessen. Viele Aktivitäten, die für eine nachhaltige globale Entwicklung wichtig sind und zu Wirtschaftswachstum, Arbeitsplätzen und damit Staatseinnahmen beitragen, passen zudem nicht in den bestehenden Rahmen der OECD-Definition für Entwicklungsgelder (ODA), etwa weil sie von Unternehmen finanziert oder weil sie über staatliche Garantien – im Gegensatz zu staatlichen Zuschüssen oder Darlehen – umgesetzt werden.

Die Mehrheit der armen Menschen lebt heute in Ländern, die in der Lage sind, ihre Entwicklung zunehmend selbst zu finanzieren. Auch hier ist gute entwicklungsorientierte Zusammenarbeit gefordert, allerdings mit weiterentwickeltem Instrumentarium. Diese Länder können wir wirksam mit marktnäheren Kreditmitteln für Investitionen und mit Know-how-Transfer und Beratung dabei unterstützen, ihre Gesellschaften nachhaltig auf eine soziale und ökologische Marktwirtschaft auszurichten. So können knappe staatliche Zuschüsse für klassische Entwicklungsprojekte verstärkt in die ärmeren Länder fließen, die sie nach objektiv anerkannten Entwicklungsindikatoren sehr viel dringender benötigen.

Damit kein Missverständnis entsteht: Wir brauchen öffentliche Gelder, um Entwicklung zu fördern. Wir brauchen jedoch vor allem auch innovative Mechanismen, um die staatliche Entwicklungsfinanzierung noch stärker als Katalysator für noch mehr Beiträge von Privaten und anderen Akteuren zu nutzen und damit globale nachhaltige Entwicklungsprozesse anzustoßen. Entwicklungspolitik ist aber nicht nur die Unterstützung ärmerer Länder in ihren Entwicklungsanstrengungen, sie muss auch bei unseren nationalen Politiken und multilateralen Vereinbarungen ansetzen, um erfolgreich zu sein: Auf Kohärenz kommt es an.

So lässt sich zum Beispiel die Welthandelsordnung entwicklungsfreundlicher gestalten. Denn: Die Einnahmen der Länder aus internationalem Handel und Zuflüsse aus Investitionen übersteigen bei weitem unsere ODA-Flüsse. Die Frage, wie wir etwa das internationale Handels- und Investitionsregime, den Marktzugang in die EU oder Agrarsubventionen ausgestalten, ist daher von zentraler Bedeutung für die Entwicklungsperspektiven vieler Länder. Wir benötigen integratives Denken und Handeln, das die Wirtschaft, die breite Zivilgesellschaft, aber auch alle UN-Organisationen und eben auch die verschiedenen Ressorts in unseren nationalen Regierungen umfasst.

Die aktuellen Millenniumsentwicklungsziele sind im Kern eine Erfolgsgeschichte. Diese Erfolge spornen an, ambitioniertere Ziele für die Zeit nach 2015 zu vereinbaren. Zugleich müssen wir unsere Agenda für die Zukunft stärker auf Nachhaltigkeit ausrichten: nachhaltiges Wirtschaftswachstum, wirksame staatliche Entwicklungszusammenarbeit, ein zeitgemäßes System der Erfassung von Entwicklungsleistungen sowie die Reform internationaler Handelsbeziehungen.

Die Menschenrechte bilden dabei für uns die nichtverhandelbare Grundlage. Wir wollen eine Welt frei von Not – nicht nur materieller Not, sondern auch frei von Unterdrückung, frei von Diskriminierung und frei von Angst. So ermöglicht gut gemachte Entwicklungspolitik Freiheit zu einem selbstbestimmten Leben in Würde und in Einklang mit der Leistungsfähigkeit unserer Ökosysteme. Die Verhandlungen zu den neuen Entwicklungszielen bieten die Chance, einen höherwertigen Entwicklungspfad zu erreichen. Diese Verhandlungen werden langwierig und kompliziert. Sie erfordern Frustrationstoleranz und Leidenschaft. Ich bin aber überzeugt: Erfolgreiche Verhandlungen werden die Lebensperspektiven von Milliarden von Menschen verbessern. Dafür lohnt sich jede Anstrengung!


Dirk Niebel ist Bundesminister für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung.
http://www.bmz.de

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