Kommentar

Massengräber auf Satelliten-Fotos

Heutzutage werten Menschenrechtsorganisationen und Ankläger beim Sammeln von Beweisen auch Satelliten-, Internet- und Handydaten aus. Vor Gericht können sie aufgrund von rechtlichen Unsicherheiten jedoch nur schwer verwendet werden. Regeln für digitale Beweise sind überfällig.
Im Sudan dürfen Mitarbeiter des Internationalen Strafgerichtshofs keine Beweise sammeln. Flüchtlingsfrauen arbeiten in einer Ziegelfabrik in der Konfliktregion Darfur. AA/picture-alliance Im Sudan dürfen Mitarbeiter des Internationalen Strafgerichtshofs keine Beweise sammeln. Flüchtlingsfrauen arbeiten in einer Ziegelfabrik in der Konfliktregion Darfur.

In Burundi lieferten Informationen aus 45 Kilometern Höhe die Bestätigung für ein Massengrab. Amnesty International (AI) nutzte Satellitendaten, um die Aussagen von Bewohnern zu prüfen, in der Region Buringa seien Leichen vergraben worden. Der Vergleich von Aufnahmen von November und Dezember 2015 ergab, dass große Mengen Erdreich verschoben wurden.

Selbst bei Massenverbrechen gelingt es Tätern oft, das Ausmaß ihrer Taten zu verbergen. Sie schüchtern Zeugen ein, fälschen Beweise oder verweigern Ermittlern den Zugang zum Tatort. Neue technische Möglichkeiten können bei der Aufklärung helfen.

Ihr Einsatz bei der Strafverfolgung ist bisher jedoch die Ausnahme. Der Internationale Strafgerichtshof in Den Haag und die UN-Tribunale setzen nach wie vor vor allem auf herkömmliche Beweise wie Zeugenaussagen und forensische Untersuchungen. Besonders der Strafgerichtshofs braucht aber eine größere Vielfalt der Beweisführung. Zeugen sind unzuverlässig. Ihre Aussagen sind oft ungenau, etwa weil die Verbrechen lange zurückliegen, oder gar gelogen, was an Einschüchterung oder Korruption liegen kann.

Zudem ist das Gericht, das über keine eigene Polizei verfügt, auf die Zusammenarbeit mit Regierungen angewiesen. Und die funktioniert nicht immer. Kenia verweigerte beispielsweise im Fall gegen Präsident Uhuru Kenyatta die geforderten Dokumente. Und der Sudan lässt keine Mitarbeiter des Strafgerichtshofs mehr ins Land. Die Ermittler können deshalb die Tatorte in Darfur für ihre Ermittlungen gegen Präsident Omar al-Baschir und andere mutmaßliche Kriegsverbrecher nicht besuchen.

Weil auch Amnesty nicht mehr nach Darfur reisen darf, nutzt die Organisation im Projekt „Eyes on Darfur“ („Augen auf  Darfur“) Satelliten, um die Zerstörung von Dörfern oder die Bewegungen von Flüchtlingen zu verfolgen. Andere Initiativen verwenden Daten aus dem Internet. Das Syria Justice and Accountability Centre (SJAC) hat bereits rund eine Million Internetvideos aus Syrien archiviert. Irgendwann könnten sie für einen Gerichtsprozess verwendet werden.

Mit moderner Software ist es möglich, auf Aufnahmen beispielsweise durch den Sonnenstand die Richtung eines Raketeneinschlags zu bestimmen oder tausende Stunden Videomaterial zu durchsuchen. Die Software des SJAC spuckt dann zum Beispiel alle Videos aus, in denen ein bestimmter Panzertyp auftaucht.

Hinter den Kulissen arbeitet der Internationale Strafgerichtshof an ähnlichen Methoden. Eingesetzt werden sie bisher jedoch kaum. Ein Grund für die Zurückhaltung liegt in rechtlichen Unsicherheiten: Es gibt kaum Erfahrung, geschweige denn Regeln, wie mit digitalen Beweisen umzugehen ist. Satelliten beispielsweise produzieren Daten, die erst später zu Bildern zusammengesetzt werden. Vor Gericht würden also nicht die Ursprungsdaten präsentiert, sondern verarbeitete Formen. Damit wären sie mittelbare Beweise, die relativ wenig Gewicht haben.

Zudem müsste man die Echtheit nachweisen. Laut AI ist es bei Satellitendaten deutlich schwieriger, Bearbeitungen zu erkennen als etwa bei Fotos und Videos. Doch es gibt Möglichkeiten. Gerichte müssen sich mit dem Thema beschäftigen, Präzedenzfälle schaffen und Regeln aufstellen.

Das UN-Sondertribunal für den Libanon leistet hier Pionierarbeit. Es stützt seine Anklage gegen die mutmaßlichen Attentäter des libanesischen Regierungschefs Rafik Hariri 2005 vor allem auf eine komplexe Analyse mehrerer Dutzend Handynummern. Die Ermittler haben Muster bei Anrufen entdeckt und wollen so beweisen, wie und von wem der Anschlag ausgeführt wurde. Ob sie damit Erfolg haben, zeigt sich aber wohl erst in ein paar Jahren, wenn die Richter ein Urteil sprechen.


Benjamin Dürr ist Völkerrechtler. Er arbeitet als Prozessbe­obachter und Analyst am Internationalen Strafgerichtshof in Den Haag und den UN-Tribunalen für internationale Organisationen, Regierungen und Medien.
mail@benjamin-duerr.de
http://www.benjamin-duerr.de


Links
Amnesty-International-Projekt „Eyes on Darfur“:
http://www.eyesondarfur.org
Syria Justice and Accountability Centre:
https://syriaaccountability.org/
 

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