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UN-Jahresmotto 2012

Ökostrom über alles?

Im Januar erklärte Generalsekretär Ban Ki-moon das Jahr 2012 zum „UN Year of Sustainable Energy for All“. Europas entwicklungspolitische Akteure müssen überlegen, wie sie damit umgehen.

Das Reaktorunglück in Fukushima hinterließ in reichen Industrie­ländern tiefen Eindruck. Insbesondere Deutschland möchte Atomkraft und Kohle jetzt noch schneller durch „saubere“ Energieformen ersetzen. Arme Länder haben diese Wahl überhaupt nicht: Jeder fünfte Mensch auf der Welt (1,5 Milliarden) besitzt nämlich gar keinen Zugang zu Strom. Die Weltbank stellte Anfang des Jahres das Ziel auf, diese Lücke bis 2030 zu schließen. Als größter Geldgeber für Energieprojekte plant sie in diesen Tagen ein konkretes Strategiepapier gegen Energiearmut.

Eindrucksvolle Zahlen liegen auf dem Tisch: Weltweit kochen und heizen fast 2,7 Milliarden Menschen mit Dung oder Holz. Sie müssen teures Petroleum und Kerzen kaufen, um Licht zu erzeugen. Auch sie hätten ein Recht auf saubere Energie für mehrere Generationen, ruft Kilian Reiche ins Gedächtnis. Der Geschäftsführer einer privaten Agentur für Infrastrukturzugang und Erneuerbare Energien (iiDevelopment GmbH) betont, dass eine allen zustehende Energie mehr beinhaltet als „Stromnetzkilometer und Kilowattstunden“. Im UN-Jahresmotto 2012 stecken wie folgt mehrere, teilweise konträre Ziele:
– Energie für Haushalte, für Kleinunternehmen und öffentliche Verwaltung,
– lokaler und globaler Umweltschutz,
– tragbare Anschaffungspreise und vernünftige laufende Kosten,
– für alle Verbraucher nachvollziehbare Qualitätsstandards,
– eine dauerhafte Versorgung auch in ländlichen Gebieten sowie
– gesunde Märkte, auf denen auch lokale Firmen bestehen können.

Hinzu kommen indirekte Hoffnungen, zum Beispiel auf bessere Produktivität, ­Gesundheit oder Bildung dank elektrischem Licht. Dieser Erwartungsmix provoziert Konflikte, warnt Reiche. Oft bürden sich die Partner in Entwicklungsländern zu viele Interessen gleichzeitig auf. In Zahlen messbare, kleine Schritte seien stattdessen erfolgreicher, sagt der Berater. Die große Frage lautet letztlich: Was versprechen sich arme Menschen selbst von „nachhaltiger Energie“? Vorbilder dafür, was unter dem Schlagwort „nachhaltig“ zu verstehen sein könnte, finden europäische Entwicklungshelfer in Bolivien, Brasilien, Chile oder Argentinien. In Lateinamerika gibt es seit ­mehreren Jahren Programme für universalen Energiezugang.

Energie ist mehr als nur „Kilowatt“

„Wie man Stromnetze baut, moderne Kochstellen einrichtet und Energie bedarfsgerecht erzeugt, wissen wir“, sagt Kandeh Yumkella, der Spitzenmann der UN-Organisation für industrielle Entwicklung (UNIDO), und warnt: „Es fehlt aber die weltweite Bereitschaft, Energie als zentrales Thema der Politik aufzugreifen.“ Mit einem Volumen von rund 54 Milliarden Euro leisten die Europäische Union und ihre Mitglieder weltweit die umfangreichste Entwicklungshilfe. An Geld und Erkenntnis fehlt es Europa nicht: Ohne Strom seien weder sauberes Wasser für jeden Bürger noch gute Ausbildung und medizinische Grundversorgung denkbar, betonte zum Beispiel Andris Piebalgs im Januar (E+Z/D+C 2011/01, Seite 6). Elektrizität sei „eine Voraussetzung für praktisch alle Millenniumsziele“, ergänzte der EU-Entwicklungskommissar.

Oliver Knight vom britischen Ent­wicklungsministerium (DFID) wünscht sich trotz allem, dass Politiker möglichst wenig in Details von Energieprojekten hi­neinreden. Er schwört auf Anreize für die private Wirtschaft durch sogenannte „Output-based Aid“ (OBA).

Firmen, die neue Märkte schaffen, die sich im Wettbewerb mit anderen um vernünftige Kosten bemühen und auf klare Ziele verpflichtet werden können, führten schneller dauerhafte Ergebnisse herbei als „Workshops, PR und umfang­reiche Kredithilfen“, meint Knight. Sie hälfen den Empfängerländern wirkungsvoller, die Anzahl von Bürgern mit Energiezugang zu heben, den CO2-Ausstoß zu senken, die Netzsicherheit zu verbessern und verfügbare Energie effizienter zu nutzen.

Bei einem Austausch von Fachleuten im Rahmen der auf praktische Hilfe
in Entwicklungsländern ausgelegten EU-Energieinitiative (EUEI-PDF) in Brüssel hielten einige Teilnehmer dem Briten entgegen, dass OBA gerade in armen Regionen an ihre Grenzen stoße. Wettbewerb sei nur dort möglich, wo mehrere Anbieter auftreten. So manches Projekt, hieß es, bräuchte ­daher wohl auch künftig Starthilfe aus Industrieländern. Einig sind sich Experten über eins: Eine klare Identität in Energie- und Entwicklungsfragen könnte den Europäern helfen, das ehrgeizige ­UN-Ziel „Sustainable Energy for All“ besser zu fassen sowie konkreter auf den Markt und auf Kundenwünsche einzugehen. Denn mehrere Fragen rund um Energiezugang sind offen, und die angekündigte Strategie der Weltbank kann bestimmt nicht auf alle antworten: Lassen sich Kohlemeiler oder Mega-Staudämme in technisch rückständigen Ländern (siehe Bericht zu Äthiopien unten) denn zum Beispiel überhaupt verhindern? Und welche Kraftwerke reicher Nationen müssen vom Netz gehen, damit Afrika, Brasilien oder China mehr Strom produzieren dürfen? Ein höherer Energiekonsum in der Dritten Welt setzt schließlich voraus, dass die Bewohner von Industrieländern weniger Energie verbrauchen.

Peter Hauff