Deutsche Entwicklungspolitik

Internationale Solidarität statt nationaler Interessen

In Deutschland dient Realpolitik als Rechtfertigung für Haushaltskürzungen in der Entwicklungspolitik. Svenja Schulze, die Bundesministerin für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung, sollte der Entsolidarisierung mit dem globalen Süden etwas entgegensetzen. Stattdessen lässt sie sich auf den Nützlichkeitsdiskurs von Wirtschaftsliberalen und Nationalpopulisten ein.
Humanitäres Leid wächst, aber es fließt weniger Geld: Geflüchtete Ende 2023 im Tschad. picture-alliance/ASSOCIATED PRESS/Marie-Helena Laurent Humanitäres Leid wächst, aber es fließt weniger Geld: Geflüchtete Ende 2023 im Tschad.

In E+Z/D+C erläuterte Schulze ihr Verständnis von Entwicklungspolitik. Die Haltung „wir helfen denen“ gelte nicht mehr. Stattdessen sei Entwicklungspolitik heute „immer mehr echter Interessenausgleich“ und „grundlegender Bestandteil internationaler Realpolitik“. Damit reagiert sie indirekt auf die vom marktradikalen Finanzminister Christian Lindner häufig formulierte rhetorische Frage, ob denn Vorhaben deutschen Interessen dienen. Lindner glaubt vielleicht, er könne den Nationalpopulisten von AfD und Bündnis Sahra Wagenknecht so ein paar Stimmen abjagen. Tatsächlich verstärkt er aber deren Narrativ, deutsches Geld werde im Ausland vergeudet.

Entwicklungspolitik wird  schrittweise zu Realpolitik für geostrategische Einflussnahme im neuen Kalten Krieg umgemünzt. Der rechtsliberale Lindner stellt Regulierungen und Sozialpolitik grundsätzlich infrage und will die Staatsausgaben kürzen. Die Sozialdemokratin Schulze will dagegen zeigen, dass ihre Haushaltsmittel gut angelegt sind. Statt internationalen Zusammenhalt betont sie nationale Interessen.

Der Streit um den Bundeshaushalt 2025 tobt seit Monaten. Haushaltsposten für Aufwendungen im Ausland stehen besonders unter Druck. Dabei wurden die Mittel für das Bundesministerium für wirtschaftliche Entwicklung und Zusammenarbeit (BMZ) und humanitäre Hilfe des Auswärtigen Amts in den letzten zwei Haushaltsjahren schon stark reduziert. Laut VENRO, dem Dachverband zivilgesellschaftlicher Organisationen für Entwicklungspolitik und humanitäre Hilfe, wird der BMZ-Etat folglich 2025 um 3,5 Milliarden Euro oder grob ein Viertel kleiner ausfallen als 2022. Für humanitäre Hilfe, die wegen Krieg und Umweltdesastern immer nötiger wird, stünden dann 1,6 Milliarden – fast ein Drittel – weniger bereit. Nur das Gesundheitsministerium sei von Kürzungen stärker betroffen, stellte VENRO schon 2023 fest.

Was im Koalitionsvertrag steht 

Deutschland dreht Entwicklungs- und Schwellenländern den Geldhahn zu, obwohl Klimakrise und Krieg Armut, Hunger und Flucht verstärken. Seit Ende 2021 regieren Sozialdemokraten (SPD), Öko-Demokraten (Grüne) und Marktradikale (FDP) das Land. „Mehr Fortschritt wagen“, lautete der Titel des Koalitionsvertrags. Er versprach, die Außen- und Entwicklungspolitik werde „wertebasiert“ für mehr Menschenrechte, Frieden, Demokratie und Geschlechtergerechtigkeit sorgen. Die Bundesregierung werde mehr Geld bereitstellen, damit Deutschland „seine internationalen Verpflichtungen im Bereich der Entwicklungszusammenarbeit erfüllt“. Das jahrzehntealte Versprechen, mindestens 0,7 Prozent der Wirtschaftsleistung für ODA aufzuwenden, werde eingehalten, wobei 0,2 Prozent der Wirtschaftskraft an die ärmsten Länder fließen sollen. Der Aufwand für Krisenprävention, humanitäre Hilfe und Entwicklungszusammen­arbeit werde „im Maßstab eins zu eins wie die Ausgaben für Verteidigung steigen“.

Geschehen ist das Gegenteil. Ukraine­krieg, Nachwehen der Coronapandemie, Rezession, Reallohnverluste und Rechtsruck zeigen zwar, dass der Staat mehr leisten muss als früher. Dennoch setzt die Koalition auf Austerität, die im Grundgesetz als „Schuldenbremse“ festgeschrieben ist. Statt von globaler Verantwortung ist nun von Nützlichkeit im Sinne deutscher Interessen die Rede. Zugleich zieht die Bundesregierung zusammen mit den anderen EU-Mitgliedern neue Mauern um die „Festung Europa“ hoch. Aller Menschenrechtsrhetorik zum Trotz wird neuerdings sogar öffentlich darüber nachgedacht, Straftäter nach Afghanistan abzuschieben. Das Land wird vom einstigen Kriegsgegner, den radikal­islamistischen Taliban, regiert.

Das verzerrte marktradikale Menschenbild ist der egoistisch nutzenmaximierende Homo oeconomicus. Gerade in Krisenzeiten müssen aber Gemeinwohl, Solidarität und Humanität international gestärkt werden – mit Investitionen und Umverteilung. Wenn Ministerin Schulze dem Rechtsruck in Deutschland und Europa etwas entgegenstellen will, sollte sie auf dem beharren, was im Koalitionsvertrag steht.

Cornelia Möhring ist Sprecherin für Globale Gerechtigkeit der Linken-Gruppe im Deutschen Bundestag.
cornelia.moehring.ma02@bundestag.de