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Unsere Sicht

Wer nicht lesen kann, bleibt ausgegrenzt

Schrift war in der Geschichte der Menschheit eine der folgenreichsten Innovationen. In Mesopotamien und Ägypten wurde vor 5000 bis 6000 Jahren bereits geschrieben. Die Texte waren meist religiös oder dienten Verwaltungszwecken. In der Tat machen schriftliche Dokumente Staaten effizienter.
Mitarbeiterin eines ghanaischen Internetcafés 2009. Fischer/picture-alliance/Bildagentur-online Mitarbeiterin eines ghanaischen Internetcafés 2009.

Über die Jahrtausende blieben die meisten Menschen Analphabeten. Wer lesen und schreiben konnte, erreichte oft einflussreiche Positionen. Das galt sogar für schriftgelehrte Sklaven, denn ihre Herren wussten, dass sie von deren Wissen abhingen und diese Leute nicht leicht zu ersetzen waren.

Eine weitere wichtige Innovation war im 15. Jahrhundert der Buchdruck.  Geschriebene Texte konnten nun schnell vervielfacht und weit verbreitet werden. Das fand großen Anklang. Die Bibel wurde übersetzt, und immer mehr Menschen lernten lesen und schreiben. Die Konsequenzen waren dramatisch, denn in den europäischen Religionskriegen des 16. und 17. Jahrhunderts spielten Fanatiker, die sich über die korrekte Auslegung der Heiligen Schrift stritten, eine große Rolle. Jedenfalls prägte Lesen zunehmend das Weltbild vieler Menschen.

Heute wissen wir, dass im 16. Jahrhundert die Kleine Eiszeit die Agrarproduktivität reduzierte. Jedenfalls schleppten sich die Konflikte dahin, ohne dass Gott Katholiken oder Protestanten den Sieg verliehen hätte. Derweil wurde die Militärtechnik besser, und das Interesse an rationalen statt spirituellen Erklärungen wuchs. Auf dieser Basis entstand später die Philosophie der Aufklärung, die wiederum zu Forderungen nach Demokratie und Menschenrechten führte. Zunehmende Alphabetisierung unterstützte diese Entwicklung.

Wer heute nicht lesen und schreiben kann, ist per definitionem ausgegrenzt. Die Betroffenen können:

  • wichtige und vielfältige Arbeitsaufgaben nicht übernehmen,
  • nur in begrenztem Maße am ökonomischen Leben und dem politischen Geschehen teilnehmen,
  • sich nicht selbständig Informationen über viele Dinge beschaffen,
  • Vertragstexte nicht prüfen und
  • keinen optimalen Gebrauch von den diversen digitalen Geräte machen, die selbst in abgelegenen Dörfern von Entwicklungsländern mittlerweile zum Alltag gehören.

Aus gutem Grund betont die internationale Staatengemeinschaft seit langem Alphabetisierung als Entwicklungsziel. Das vierte UN-Ziel für nachhaltige Entwicklung ist denn auch qualitativ hochwertige Bildung. Lesekompetenz ist die Grundlage für andere Kompetenzen wie Medienkompetenz, Computerkompetenz oder auch wissenschaftliches Denken. Sie ist für Geschlechtergerechtigkeit und soziale Gerechtigkeit unabdingbar. Menschen, die Wissenslücken nicht eigenständig füllen können, können ihr Schicksal nicht in die eigene Hand nehmen.

Selbst in wohlhabenden Nationen gibt es funktionale Analphabeten. Sie erfassen vielleicht einzelne Sätze mit Mühe, verstehen aber den Kontext nicht. In Entwicklungsländern ist die Lage tendenziell schlimmer. Einschulungsraten sind vielfach noch zu niedrig, obwohl das in den vergangenen zwei Jahrzehnten deutlich besser geworden ist. Die Schulqualität ist aber häufig noch unbefriedigend. Öffentliche Schulen müssen aber allen guten Unterricht bieten. Denn wenn Kinder zu mündigen Bürgern heranwachsen sollen, brauche sie gute Bildung.


Hans Dembowski ist Chefredakteur von E+Z/D+C.
euz.editor@dandc.eu