Globale Krisen auf lokaler Ebene

Wenn ein starkes afrikanisches Land an allen Fronten zu kämpfen hat

In Kenia lässt sich derzeit gut beobachten, welche Auswirkungen die multiplen globalen Krisen auf den Alltag eines Landes haben.
Ärzt*innen-Proteste in Nairobi Anfang März. picture-alliance/Anadolu/Gerald Anderson Ärzt*innen-Proteste in Nairobi Anfang März.

Als E+Z/D+C-Redakteurin mit Zweitwohnsitz in Nairobi arbeite ich regelmäßig von Kenia aus. In den vergangenen Wochen war die Lage im Land so bedenklich wie lange nicht mehr.

Innenpolitisch herrscht zwar Stabilität, Oppositionsführer Raila Odinga hat seinen Widerstand gegen Präsident William Ruto deutlich zurückgefahren, nachdem er im vergangenen Jahr seine Anhängerschaft zu wochenlangen Demonstrationen angeheizt hatte. Das liegt sicher auch daran, dass Odinga mit dem höchsten politischen Posten Afrikas, dem Vorsitz der Kommission der Afrikanischen Union, ein neues Ziel vor Augen hat.

Gleichzeitig ist der Alltag in Kenia zurzeit derart von den multiplen globalen Krisen geprägt, dass sich wie unter einem Brennglas betrachten lässt, wie eine Gesellschaft aussehen kann, wenn die Weltgemeinschaft keine Lösungen findet.

Das Land gibt – wie viele andere Länder des Kontinents – einen Großteil seiner Einnahmen aus, um Schulden zu bezahlen. Die Staatsverschuldung hat mit fast 68 Prozent des Bruttoinlandsprodukts mittlerweile ein kritisches Niveau erreicht. Im Juni wird zudem ein Eurobond in Höhe von 2 Milliarden Dollar fällig. Im Alltag bedeutet das unter anderem, dass bei Sozialausgaben gespart wird.

Leere Krankenhäuser

So finden mehr als 3000 Assistenz­ärzt*innen keine Anstellung, auch wenn die öffentlichen Krankenhäuser völlig unterbesetzt sind. Eine große Ärzt*innengewerkschaft hat deshalb Anfang März zum Streik aufgerufen, und seitdem haben fast die Hälfte aller registrierten Mediziner*innen in Kenia die Arbeit niedergelegt. Die Krankenhäuser sind leergefegt, eine Vielzahl von Menschen kann nicht behandelt werden. In manchen Krankenhäusern fehlt es zudem an Medikamenten oder Essen. Der Streik trifft die Ärmsten am härtesten, die kein Geld für die teuren privaten Krankenhäuser haben.

Nicht nur Ärzt*innen, auch dringend benötigtes medizintechnisches oder Pflegepersonal hat kaum Chancen auf Arbeit. Auf unbezahlte Praktika folgt erzwungene „Freiwilligenarbeit“, die die Krankenhäuser in verzweifelten Versuchen, das Personal zu binden, fordern – bis irgendwann wieder Gelder da sind.

Er schlafe seit Wochen in der Ambulanz oder bei Freund*innen, erzählte ein Medizintechniker – Geld für die Miete sei schon lange nicht mehr da. Bei der ersten Gelegenheit, im Ausland angestellt zu werden, verlasse er Kenia. Er ist nicht der Einzige mit diesem Plan. Dass in Europa großer Mangel an Fachkräften herrscht, ist in Kenia allseits bekannt.

Sintflutartiger Regen

Auch den Bildungssektor trifft es. Die öffentlichen Schulen erhielten Anfang des Jahres nur rund die Hälfte des geplanten Budgets. Schwierigkeiten, den Betrieb überhaupt aufrechtzuerhalten, kulminierten darin, dass die Schüler*innen – mal wieder – zwei Wochen früher in die Osterferien geschickt wurden. Die Öffnung der Schulen wurde nun im letzten Moment um noch eine Woche nach hinten verschoben.

Das liegt wiederum daran, dass zurzeit eine ungewöhnlich heftige Regenzeit durch das Land wütet. In den Slumgebieten stehen riesige Flächen seit Wochen unter Wasser. Mindestens 169 Menschen kamen bereits ums Leben, Dutzende werden vermisst. Das Rote Kreuz schickte beinahe täglich Warn-SMS vor Dammbrüchen und Fluten aus verschiedenen Landesteilen. An Infrastrukturverbesserungen oder andere Anpassungsmaßnahmen ist in der derzeitigen Lage nicht zu denken. Die einzige Region, die die langen Regenfälle herbeigesehnt hat, ist der Norden, der sich kaum von der extremen Dürre Ende letzten Jahres erholt hat. Aber auch hier sind nun viele Gebiete überflutet.

Immerhin ist die Inflation ein wenig zurückgegangen und Lebensmittel- und Benzinpreise sind gesunken. Zu spüren ist davon allerdings noch wenig. Wenn Hilfsorganisationen Nahrungsmittel verteilen, kommen selbst alte oder kranke Menschen auch in vermeintlich stabilen Regionen nach wie vor für zwei Packungen Maismehl aus weit entfernten Dörfern.

Kenia zählt zu den zehn größten Volkswirtschaften Afrikas. Im Human-Development-Index-Ranking des Kontinents liegt es auf Platz 17. Das Land ist im afrikanischen Vergleich sicherlich weder am stärksten von all den globalen Krisen betroffen noch leistet es die schlechteste Arbeit im Umgang mit ihnen.

Außerdem herrscht in Kenia Frieden. Es dürfte damit klar sein, in welcher Lage sich konfliktgeplagte Länder am unteren Ende der Skala wie Burkina Faso, die Zentralafrikanische Republik oder der Südsudan befinden, wenn bereits vermeintlich stabile Länder wie Kenia unter der Last all der Probleme einzuknicken drohen.

Katharina Wilhelm Otieno ist Redakteurin bei E+Z/D+C.
euz.editor@dandc.eu

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