Rechtsstaatlichkeit
„Diese Vorfälle müssen untersucht werden“
Was haben Sie als Menschenrechtsaktivistin getan?
Ich bin Mitglied mehrerer Menschenrechtsorganisationen. Vor meiner Verhaftung recherchierte ich in abgelegenen Gebieten der Provinz Negros Occidental. Auf dem Land sind Menschenrechtsverletzungen häufig, da die Medien kaum Notiz nehmen. Ich unternahm Erkundungsmissionen, um Behörden, die nationale Menschenrechtskommission sowie das Internationale Komitee vom Roten Kreuz über Rechtsbrüche zu informieren. Ich gab mein Bestes, um Opfern von Menschenrechtsverletzungen zu helfen, vor Gericht zu ziehen. Ihnen fehlt aber oft das Geld, um Anzeige zu erstatten. Andere haben zu viel Angst. Es fehlt auch vielen Zeugen der Mut zu Aussagen, was juristisches Vorgehen weiter erschwert.
Um was für Menschenrechtsverletzungen geht es?
Illegale Hausdurchsuchungen und Misshandlung von Personen, die im Verdacht stehen, zur Rebellenorganisation New People’s Army (NPA) zu gehören. Viele legen unter Druck und Schmerzen falsche Geständnisse ab. Andere werden dazu gezwungen, mutmaßliche NPA-Mitglieder zu verraten. Zahlreiche Leute haben ihre Heimat verlassen, um solchen Misshandlungen zu entkommen.
Lassen sich überhaupt Brücken schlagen?
Nun ja, ich habe zum Beispiel Diskussionsforen mit Opfern von Rechtsbrüchen und Beamten organisiert. Manche Geschädigte wollten aus Angst vor dem Militär und anderen Gewaltakteuren nicht teilnehmen. Dennoch gelang es, Treffen von Opfern und Militärangehörigen zu arrangieren. Ich habe auch Kundgebungen veranstaltet, um die Öffentlichkeit über Menschenrechte aufzuklären, und die Radiosendung „You and Your Rights“ moderiert. Eine Organisation, der ich angehöre, unterstützt politische Gefangene mit Gefängnisbesuchen und Beobachtung der Gerichtsverfahren. Wir versuchten auch, Hilfe für Zwangsgeräumte zu organisieren und Netzwerke mit anderen NGOs auszubauen.
Sie wurden öffentlich als Terroristin und Kommunistin bezeichnet. Solche Verleumdungen sollen Aktivisten isolieren. Was hat das für Sie bedeutet?
Ich wusste natürlich, dass das Quatsch ist, und tat mein Bestes, das zu ignorieren. In einem Barangay, so heißt die kleinste Verwaltungseinheit der Philippinen, wurde ich wegen unterstellter NPA-Mitgliedschaft sogar zur Persona non grata erklärt. Die Armed Forces of the Philippines (AFP) verlangten von allen Besuchern dieses Barangays, bei Ankunft ihre Namen in ein Logbuch einzutragen. Die Bewohner sollten die AFP sofort informieren, wenn ich in die Gegend kam. Man veröffentlichte Bilder von mir online mit der Zeile: „Sie ist NPA-Mitglied.“ Ich habe mich an das Besuchsverbot nicht gehalten. Die Menschen dort kennen mich. Einer widersprach der Verleumdung sogar online, andere verteidigten mich ebenfalls öffentlich. Das half, meinen Ruf auf lokaler Ebene zu reparieren.
Hatten Sie keine Angst?
Doch, die hatte ich. Es gab ja Morddrohungen. Wir fürchteten alle um unsere Leben, zumal die Zahl der Morde zunahm. Andererseits gaben mir die Lebensgeschichten, die ich zu hören bekam, die Kraft weiterzumachen. Was Opfern von Menschenrechtsverletzungen passiert, muss an die Öffentlichkeit. Ich bereitete mich innerlich darauf vor, ermordet zu werden und zu „verschwinden“. Aber auf diese falschen Anschuldigungen, die nun gegen mich erhoben werden, war ich nicht vorbereitet. Die Anzahl solcher Fälle begann anzusteigen, als die internationale Öffentlichkeit darauf aufmerksam wurde, dass hier Sicherheitskräfte Morde begehen und Menschen verschwinden lassen.
Ihre Verhaftung und die Anklage gegen Sie beruhen auf sogenannten „Jane-and-John-Doe-Gesetzen“. Diese Gesetze erlauben, Anklage gegen unbekannt zu erstatten, und dann eine beliebige Anzahl von Personen oder Personengruppen, die für die Tat in Frage kommen könnten, auf die Verdächtigtenliste zu setzen und zu verhaften.
Es ist in der Tat ein erhebliches Problem, dass in diesem Land Anklage nicht gegen bestimmte Individuen erhoben werden muss. Der Prozess wird gestartet, und dann kommen im Nachhinein neue Namen zur Anklageschrift hinzu. Die Tat, für die ich belangt werde, wurde 2010 angezeigt, aber ich kam erst 2012 auf die Verdächtigtenliste. Mittlerweile sind in diesem Fall 43 Personen angeklagt. Manche Tatverdächtige gehören tatsächlich militanten Organisationen an, einer ist politischer Aktivist und einige sind Anführer lokaler Gemeinschaften. Im Moment macht mir ein weiterer Jane-and-John-Doe-Fall Sorgen. Es werden 20 Personen wegen Mordes gesucht, aber nur zehn Namen stehen bisher auf der Verdächtigtenliste. Zehn stehen also noch aus und ich könnte bald dabei sein. Dann würde ich in Haft bleiben, selbst wenn ich im ersten Fall freigesprochen würde. Offensichtlich sprechen ja keine Beweise gegen mich. Im Grunde erlaubt das Jane-und-John-Doe-System den Behörden, Menschen willkürlich einzusperren.
Müssen diese Gesetze abgeschafft werden?
Ja klar, und zwar komplett. Vor einer Inhaftierung müssen die Angeklagten vollständig und unmissverständlich benannt werden. Theoretisch könnten wir, das Volk, diese Gesetze auch gegen Militärangehörige einsetzen, die oft ihre Identität verbergen, indem sie ihre Namensschilder entfernen oder diese untereinander austauschen, obwohl sie als Uniformierte dazu verpflichtet sind, ihre Identität jederzeit mitzuteilen. Offensichtlich wäre eine Anklage gegen Soldaten aber sinnlos.
Wie können lokale und internationale Institutionen für die Verbesserung der Lage von Menschenrechtsverteidigern eintreten?
Die Bemühungen von Philip Alston, dem UN-Sonderberichterstatter für außergerichtliche Hinrichtungen und Verschwindenlassen, waren sehr hilfreich. Aber es gibt hier auf den Philippinen damit noch immer große Probleme. Die Öffentlichkeit muss darauf aufmerksam gemacht werden. Internationaler Druck ist weiterhin nötig. Auf lokaler Ebene helfen Gesprächsforen in Gegenden mit eklatanten Menschenrechtsverletzungen. Man muss vor Ort Informationen sammeln und dokumentieren. Das Militär behindert aber oft die unabhängigen Untersuchungen von nichtstaatlichen Gruppen. Und es kollaboriert mit den Provinzbehörden. Menschenrechtsverteidiger stehen in der Öffentlichkeit und sind daher leichte Zielscheiben. Die UN-Deklaration zum Schutz von Menschenrechtsverteidigern verpflichtet die Philippinen aber dazu, uns und unsere Arbeit zu schützen.
Hat internationale Aufmerksamkeit in Ihrem Fall geholfen?
Ja, ich stehe zum Beispiel in Kontakt mit dem International Peace Observers Network (IPON), der EU und dem deutschen Netzwerk Aktionsbündnis Menschenrechte Philippinen. Nur dank solcher internationaler Aufmerksamkeit haben die nationale Menschenrechtskommission und das Justizministerium in Manila meinen Fall überhaupt bemerkt. Die höheren, nationalen Institutionen instruieren die lokalen darüber, wie mein Fall behandelt werden sollte. So kann ich einen fairen Prozess bekommen. Internationale Organisationen können auch helfen, das Augenmerk auf fabrizierte Anklagen gegen Menschenrechtsverteidiger auf den Philippinen zu richten. Ich persönlich bin sehr dankbar für die internationale Unterstützung. Sie hilft mir, nicht den Mut zu verlieren.
Zara Alvarez ist eine philippinische Menschenrechtsverteidigerin, die fast zwei Jahre inhaftiert war. Kurz vor Redaktionsschluss Ende Juli wurde sie auf Kaution entlassen.
Tiffany Jenkins ist eine weltwärts-Freiwillige bei IPON, dem International Peace Observers Network. Weltwärts wird von Engagement Global im Auftrag des Bundesministeriums für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung (BMZ) koordiniert.
tila_jenkins@hotmail.com