Entwicklung und
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EU-Politik

„Unsere Versprechen auch ernst nehmen“

Die EU erhebt den Anspruch, ein globaler Akteur zu sein. Dirk Messner erläuterte Hans Dembowski im Interview, in welchem Maße das gilt und auf welche Weise der Einfluss vergrößert werden könnte. Eine ausführlichere Version dieses Interviews steht auf der Website des Deutschen Insituts für Entwicklungspolitik (siehe Linkempfehlung unten auf dieser Seite).
„In manchen EU-Ländern ist über die Hälfte der Jugendlichen arbeitslos“: Protest in Madrid. Chema Moya/picture-alliance/dpa „In manchen EU-Ländern ist über die Hälfte der Jugendlichen arbeitslos“: Protest in Madrid.

Ursprünglich war die EU ein friedenspolitisches Vorhaben. Die Ursprungsmitglieder Frankreich, Deutschland, Niederlande, Belgien, Luxemburg und Italien haben ihre Schwer­indus­trie gepoolt, sodass keiner unbemerkt würde aufrüsten können. Die Gemeinschaft war dann wirtschaftspolitisch sehr erfolgreich und hat mittlerweile 28 Mitglieder. Gibt es die friedenspolitische Dimension noch?
Ja, natürlich, und ich würde sogar sagen, der größte friedenspolitische Erfolg war die Osterweiterung. Dass es nach dem Ende der Sowjetunion in Europa, mit der Ausnahme Jugoslawien, das nicht einmal zum Warschauer Pakt gehörte, nicht zu kriegerischen Auseinandersetzungen gekommen ist, ist alles andere als selbstverständlich. Weil der EU-­Beitritt der überwältigenden Mehrheit der betroffenen Menschen attraktiv erschien, ist die große politische Neugestaltung weitestgehend ohne Blutvergießen gelungen.

Nun hat aber die Nachbarschaftspolitik der EU, die Frieden sichern und Lebensbedingungen verbessern soll, in der Ukraine zu einer ­gefährlichen Krise beigetragen.
Leider haben wichtige Akteure in der Europäischen Union unterschätzt, wie tief in Moskau das Gefühl der Kränkung ist. Präsident Wladimir Putin will sein Land nicht als regionale Großmacht, sondern als global handelnden Akteur sehen – und diese Art von radikalem Nationalismus prägt große Teile der russischen Gesellschaft. Wir müssen eindeutig das Völkerrecht zum Dreh- und Angelpunkt unserer Politik machen – und das schließt eine gewisse Selbstkritik des Westens mit ein. George W. Bushs Irakkrieg war auch völkerrechtlich nicht in Ordnung.   

Wirkt die westliche Art von Demokratie eigentlich auf Menschen in Entwicklungsländern noch attraktiv, oder gibt es eine neue Neigung zu autoritärer Herrschaft? Viele versprechen sich davon vielleicht schnelles Wirtschaftswachstum wie in China.
Das hat zwei Dimensionen:

  • In Asien, Afrika und Lateinamerika ist deutlich zu spüren, dass die Zivilgesellschaft stärker wird und mitreden will. Die Zahl der Menschen, die weltweit den Mittelschichten angehören, also über eine jährliche Kaufkraft von etwa 4000 bis 40 000 Dollar verfügen, hat sich seit 1990 auf 2,5 Milliarden verdoppelt. Sie wird sich bis 2030 noch mal verdoppeln. Das sind die Menschen, die daran interessiert sind, sich frei zu informieren, ungehindert ihre Meinung zu sagen und ihre Versammlungs- und Vereinigungsfreiheit zu nutzen. Wer hingegen am Rande des Existenzminimums lebt, ist mit dem täglichen Überlebenskampf beschäftigt und von politischer Teilhabe ausgeschlossen.
  • Der Westen selbst ist derzeit in keinem guten Zustand. In Europa hat die soziale Exklusion erheblich zugenommen, in manchen EU-Ländern ist über die Hälfte der Jugendlichen arbeitslos – das ist auf Dauer nicht demokratieverträglich. In den USA wird intensiv über Ungleichheit diskutiert. Eine aktuelle Frage ist dort derzeit, ob der politische Einfluss der Geldeliten nicht die Demokratie unterminiert. Auch Europa hat Demokratiedefizite – unter anderem, weil die Entscheidungswege für viele Bürger intransparent bleiben. Zudem hat die globale Finanzkrise, die in westlichen Ländern begonnen hat, das Vertrauen vieler Menschen in die Handlungsfähigkeit der Demokratien und ihre Kompetenz, die wirtschaftliche Globalisierung zu gestalten, erschüttert. Der Westen muss also an seiner Attraktivität arbeiten – auch damit Demokratieförderung in Entwicklungs- und Schwellenländern gelingen kann.   

In welcher Hinsicht ist die EU ein Global ­Player?
Sie ist ein starker Akteur in der Handelspolitik, in der sie für alle Mitglieder die Verhandlungskompetenz hat. Sie ist auch ein starker Akteur in der Klimapolitik, wobei ihr Einfluss hier zuletzt etwas zurückgegangen ist. Sie ist kein wichtiger Akteur in der globalen Sicherheitspolitik und spielt auch in der Weltwirtschaftspolitik angesichts ökonomischer Schwächen derzeit keine starke Rolle. Potenziale hat sie, was Entwicklungspolitik, die Beilegung von Gewaltkonflikten und den Wiederaufbau nach Konflikten angeht.

Trägt denn die aktuelle Handelspolitik wirklich zur Attraktivität des Westens bei? Das Bemühen um TTIP, die Transatlantic Trade and Investment Partnership, spricht doch dafür, dass EU und USA Politik auf eigene Rechnung machen, ohne die übrige Welt zu beteiligen.
Das muss nicht so sein, wenn wir in den Verhandlungen ausbuchstabieren, was TTIP für Entwicklungs- und Schwellenländer bedeutet. Europa sollte diese Partner auch konsultieren. Nötig ist auf alle Fälle ein gründliches Assessment, wie sich TTIP auf bestimmte Produktgruppen und Länder auswirkt. Grundsätzlich gibt es das Problem, dass bilaterale Abkommen mit einzelnen Ländern oder Ländergruppen immer wichtiger geworden sind, sodass die Welthandelsorganisation WTO nicht mehr das Forum ist, das alle nutzen. Das macht die Handelspolitik komplizierter und schwieriger. Obendrein schwächt es die ärmeren Ökonomien.

Und genau diese Fragmentierung haben die EU und die USA doch vorangetrieben. Ein wichtiges Motiv war, dass sie Schutz für Investoren forderten, den sie im WTO-Kontext beim Gipfel in Katar 2001 nicht durchsetzen konnten. Die EU hat danach unter anderem Economic Partnership Agreements (EPAs) mit Staatengruppen in Afrika, der Karibik und dem Pazifik angestrebt, in der solche umstrittenen Themen wiederauftauchten. Die EPAs sollten innerhalb von ein paar Jahren abgeschlossen sein, einige sind es aber immer noch nicht.
Die EPA-Strategie war, wie wir jetzt sehen, kein Erfolgsmodell. Sie hat die WTO-Fragmentierung beschleunigt und in den Partnerländern Skepsis und Sorgen ausgelöst, wie das jetzt TTIP bei uns tut.

Es geht letztlich um wirtschaftspolitischen Gestaltungsraum. Was TTIP angeht, kann ich mir auch nur schwer vorstellen, dass das Bundesverfassungsgericht ein privates Schiedsgericht, das bilateral zwischen der EU und den USA vereinbart wird, als letzte Instanz für Urteile über Staatshandeln und die Rechte privater Investoren in Deutschland jemals anerkennen wird. Dass der US Supreme Court das entsprechend für die USA tut, halte ich für ausgeschlossen.
Ja, es gibt noch viele offene Fragen. Die öffentlichen TTIP-Kontroversen werden aber demokratische Institutionen und Rechtsstaatlichkeit stärken. TTIP wird sicherlich in irgendeiner Form kommen. Scheitern wäre ein öffentliches Signal des Zerwürfnisses, das der Westen schon mit Blick auf die aktuellen Spannungen mit Russland nicht gebrauchen kann. Die neue EU-Kommission hat jetzt die Chance, ihre Handelspolitik neu und kohärent zu konzipieren. Dabei kommt es auf drei Dinge an:

  • Es ist sinnvoll, sich mit den USA auf technische Vereinfachungen und Standards zu einigen, denn das kann den Weg für weitere internationale Abkommen bahnen und Kosten für die Konsumenten senken.
  • EU und USA müssen aber, wie eben schon gesagt, die Perspektiven der Schwellen- und Entwicklungsländer von vornherein systematisch berücksichtigen.
  • TTIP muss zudem die Dinge, die die internationale Staatengemeinschaft mit den Sustainable Development Goals (SDGs) angeht, in die Handelspolitik integrieren. Klima-, Umwelt- und Handelspolitik laufen bisher praktisch ohne Verknüpfung nebeneinander her.

In der Klimapolitik scheint der europäische Einfluss aber zu schwinden. Liegt das daran, dass Europa schon so viel CO2-Emissionen eingespart hat, dass es auf uns jetzt gar nicht mehr ankommt?
Nein, bis 2070 müssen die weltweiten Emissionen auf null abgesenkt werden, um die globale Erwärmung noch auf zwei Grad im Schnitt begrenzen zu können. Da gibt es auch in Europa noch einiges zu tun. Ein zentrales Problem ist, dass wir unsere Hausaufgaben noch nicht gemacht haben. Es gibt einen europäischen Emissionshandel, aber er ist nicht so ausgestaltet, dass er funktionieren würde. Wenn Europa bei der Klimakonferenz Ende dieses Jahres in Paris als Musterschüler auftreten will, muss das korrigiert werden. Auch Deutschland hat eine ehrgeizige Energiewende angekündigt, aber die Emissionen aus Kohlekraftwerken steigen. Um Klimapioniere zu bleiben, müssen wir unsere Versprechen auch ernst nehmen.  

Die EU und ihre Mitglieder haben 2013 rund 71 Milliarden Dollar für Entwicklungshilfe (ODA – official development assistance) aufgewendet. Das war mehr als die Hälfte der insgesamt 134 Milliarden an ODA aus den Mitgliedsländern der OECD (Organisation for Economic Cooperation and Development), in der sich die etablierten Industrienationen zusammengeschlossen haben. Schlägt sich das Finanzvolumen in ausreichendem Maß in po­litischem Einfluss nieder?
Es ist schon einiges besser geworden. Die Entwicklungspolitik der EU und ihrer Mitgliedsländer bleibt aber weiterhin stark fragmentiert. Die Programme müssten stärker abgestimmt werden. Es geht ja nicht nur darum, die Verwaltungskosten zu reduzieren, sondern ein möglichst wirkungsvolles Gesamtpaket zu schnüren. Noch ist die Entwicklungspolitik die Summe von 29 Akteuren: 28 Mitgliedsstaaten plus Kommission. Europa nutzt seine Synergiepotenziale noch lange nicht aus. Mittel- und langfristig könnte ich mir vorstellen, dass ein signifikanter Teil der Mittel von der EU verausgabt wird, kontrolliert durch das EU-Parlament, um damit eine zunehmend besser abgestimmte EU-Außenpolitik zu unterstützen. Die Entwicklungspolitik der Mitgliedsstaaten wäre dann komplementär und könnte nationale Stärken und Interessen berücksichtigen. Und in den Augen der Bürger hat die EU auch die Legitimität, in den Außenbeziehungen stärker zu harmonisieren. Das zeigen viele Umfragen. Vielen leuchtet ein, dass Europa in einer global vernetzten, multipolaren Welt lernen muss, mit einer Stimme zu sprechen. Das schließt die Entwicklungspolitik ein, geht aber darüber hinaus. Es ist vielversprechend, dass Federica Mogherini als Vizepräsidentin der Europäischen Kommission jetzt die Arbeit aller Kommissionsmitglieder mit außenpolitischen Aufgaben koordinieren wird. Hier entsteht die Chance, die Rolle Europas in der Welt zu klären und besser sichtbar zu machen.

Sie muss aber auch mit 28 Außenministern der Mitgliedsländer zurechtkommen – und alle haben eine eigene Position.
Das stimmt, es gibt immer wieder kurzfristig Renationalisierungsbestrebungen. Zugleich ist aber allen Beteiligten, gerade wegen der vielen weltweiten Krisenherde, klar, dass die EU mit einer Stimme sprechen muss, um Einfluss auf das Weltgeschehen zu nehmen.

Sprechen denn in den Aufsichtsgremien multilateraler Institutionen wie der Weltbank, dem Internationalen Währungsfonds oder den regionalen Entwicklungsbanken die Vertreter der EU-Mitgliedsländer mit einer Stimme? Gemeinsam könnten sie dort viel bewegen.
Und das tun sie auch. Sie stimmen sich informell ab, was recht gut funktioniert.

Die EU hatte einen Stufenplan, um 2015 das jahrzehntealte Versprechen, 0,7 Prozent der Wirtschaftsleistung in ODA zu investieren, endlich zu erfüllen. Wegen der Euro-Krise ist daraus aber nichts geworden. Was bedeutet das für das internationale Ansehen Europas?
Deutschland liegt mit 0,35 Prozent ODA-Quote im Mittelfeld. Die Briten und Skandinavier übertreffen die 0,7 Prozent. Wir diskutieren gerade in Deutschland die steigende außenpolitische Verantwortung unseres Landes – da gehörte es dazu, auch bei der ODA spitze zu werden. Es geht aber nicht nur um ODA, sondern um generell entwicklungsfreundliches Staatshandeln, also auch mit Blick auf Migration, Handel, Sicherheit, Klima, Wissenschaft und vieles mehr. Wir leben im Jahrhundert der globalen Gemeinschaftsgüter, auf deren Stabilität alle angewiesen sind. Wir brauchen Spielregeln für Finanzmärkte, digitale Daten, Ozeane, Wälder und so weiter. Um die Gemeinschaftsgüter zu erhalten, werden mehr als 0,7 Prozent der Wirtschafts­leistung nötig sein.

Gibt es konkrete Beispiele für die Peace­building- und Post-Konflikt-Kompetenz der EU-Außenpolitik?
Bürgerkriegsgesellschaften können den Weg aus der Sackgasse finden. Fragilität ist kein un­überwindliches Schicksal. Liberia, Sierra Leone, Ruanda, Mosambik, Nepal oder Chile belegen das. Dies sind langfristige Prozesse, Rückschläge sind möglich. Europa hat aber gute Instrumente, viel Erfahrung und einen guten Ruf, was solche Situationen angeht. Es ist sinnvoll, darauf auf­zubauen.

Bei welchem Einzelthema könnte die EU ihr ­Ansehen international schnell verbessern?
Unsere Abwehrhaltung gegenüber Flüchtlingen ist nicht hilfreich. Im internationalen Maßstab – ver­glichen etwa mit der Türkei, dem Libanon oder ­Jordanien mit Blick auf den Bürgerkrieg in Syrien – nimmt Europa nur wenige Menschen auf. Das wissen die Menschen in Afrika, dem Nahen Osten und Asien. Dass unser wohlhabender Kontinent sich abschottet, wirkt zynisch. Wenn wir an die ­Verantwortung der Entwicklungs- und Schwellenländer beim Klimaschutz und anderen globalen ­Gemeinschaftsgütern plädieren, müssen wir sie bei regionalen Krisen und Kriegen wirksam ent­lasten.

 

Dirk Messner ist der Direktor des Deutschen Instituts für Entwicklungspolitik (DIE).
dirk.messner@die-gdi.de

 

Eine Langfassung des Interviews finden Sie unter:
http://www.die-gdi.de/fileadmin/user_upload/pdfs/veranstaltungen/EZ_Interview_Europa_Dirk_Messner.pdf
 

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