Editorial

Radikal und weitreichend

Die Millenniumsentwicklungsziele (MDGs – Millennium Development Goals) waren in mehrfacher Hinsicht erfolgreich. Sie werden zwar nicht wie geplant 2015 komplett erreicht, aber es gibt beachtliche Fortschritte. Die globale Agenda hat international die Aufmerksamkeit auf soziale Indikatoren statt nur auf Wachstum gelenkt. Sie ist Regierungen und der Öffentlichkeit bewusst geworden. Obendrein hat sie das Ansehen der UN gestärkt.
Schrottverwehrter sammelt Altmetall aus abgerissenen Häusern im chinesischen Shenyang Tien Wei Tao/picture-alliance/landov Schrottverwehrter sammelt Altmetall aus abgerissenen Häusern im chinesischen Shenyang

Die MDGs waren brilliant konzipiert. Jedes Ziel leuchtet unmittelbar ein. Wer würde schon für Hunger, Müttersterblichkeit und dreckiges Wasser eintreten? Also vereinbarten die UN die Ziele einstimmig, die implizit auf eine Agenda zum Ausbau von Gesundheits- und Bildungswesen hinausliefen. Wäre es um einen verbindlichen Vertrag zum Ausbau der sozialen Infrastruktur gegangen, hätte es keinen Konsens gegeben. 

Die nächste globale Agenda zu vereinbaren wird schwieriger. Die MDGs wurden heimlich konzipiert und dem UN-Millenniumsgipfel im Jahr 2000 überraschend vorgeschlagen. Das geht nur einmal. Weil die MDGs populär sind, musste die Vorbereitung der Folgeagenda von Anfang an möglichst viele einbeziehen.  Zivilgesellschaftliche Organisationen fordern einklagbare Rechte auf soziale Dienste. Für sie ist der unverbindliche Charakter der MDGs eine Schwäche. Ökonomische Ungleichheit ist noch eine Herausforderung. Sie steht nun im Mittelpunkt der Debatte, während die MDGs nur Grundbedürfnisse auflisteten, ohne Verteilungsfragen zu berühren.  

Ungleichheit ist ein konfliktträchtiges Thema. Wer viel hat, hat viel zu verlieren. Lange befasste sich die Weltgemeinschaft damit nicht – unter anderem, weil in vielen Ländern der Lebensstandard für die Mehrheit der Bevölkerung in den 90er Jahren und den ersten Jahren des neuen Jahrtausends stieg. So lange das so blieb, war vielen egal, dass Bessergestellte in besonderem Maße profitierten. Seit der globalen Finanzkrise ist das anders. In reichen Ländern ist klar geworden, dass es Durchschnittsbürgern allenfalls nicht schlechter geht,  während die Reichsten weiterhin reicher werden. In den großen Schwellenländern scheint der große Boom nun auch vorbei, und das Bewusstsein dafür wächst, dass der neuerworbene Wohlstand vieler Menschen noch sehr bescheiden ist und viele weitere noch in Armut feststecken.   

Klimawandel ist ein weiteres Riesenproblem. Die Menschheit kann die existenzielle Armut nicht besiegen, wenn sie nicht zugleich dafür sorgt, dass Umweltschäden Armut nicht perpetuieren. Deshalb sollen die nächsten Ziele „nachhaltige Entwicklungsziele“ (Sustainable Development Goals) heißen. Es ist nötig, die Treibhausgasemissionen so reduzieren, dass die globale Durchschnittstemperatur um höchstens zwei Grad steigt. Dem Grundsatz der Chancengleichheit entspräche es, jedem Menschen das gleiche Emissionsrecht zuzusprechen. Das hat auch Bundeskanzlerin Angela Merkel schon einmal  grundsätzlich befürwortet. Wissenschaftler schätzen das Limit auf rund 2,5 Tonnen CO2 pro Kopf und Jahr. Diese 2,5-Tonnen-Marke wäre ein radikales, weitreichendes globales Ziel. Es würde drastische Einsparungen in den reichen Nationen erfordern, und ließe den am wenigsten entwickelten Ländern Raum für zusätzliche Emissionen. 

Multilateraler Konsens darüber ist unwahrscheinlich. Aber ob den Staats- und Regierungschef dieses Ziel nun gefällt oder nicht, es ist eine Konsequenz aus naturwissenschaftlichen Tatsachen und dem Gleichheitsprinzip.  

Hans Dembowski ist Chefredakteur von E+Z Entwicklung und Zusammenarbeit / D+C Development and Cooperation. euz.editor@fs-medien.de