Interview
Transparenz ist möglich
Ein indonesisches Parlamentsmitglied hat Ihnen vorgeworfen, keine Beweise für das sehr hohe Korruptionsrisiko des Verteidigungssektors zu haben. Er bezeichnet Ihre Vorgehensweise als „tyrannisch“. Was sagen Sie dazu?
Die Studie basiert nicht auf Meinungen. Der Index misst auch nicht die jeweilige Wahrnehmung und Einschätzung des Korruptionsrisikos seitens der Regierung. Die Ergebnisse beruhen auf 77 systematischen Fragen. Unsere Forscher haben zudem Fachleute von Ministerien, Think Tanks und Universitäten befragt, um zu erfahren, welche Mechanismen Korruption in diesem Sektor vorbeugen. Um Fehler auszuschließen, haben wir uns darum bemüht, die Antworten zu standardisieren und untereinander zu vergleichen. Während des Forschungsprozesses hatte jede Regierung zweimal die Möglichkeit, zu den vorläufigen Ergebnissen Stellung zu nehmen. Indonesien hat das nicht getan. Wir wollen konstruktiv mit den Regierungen zusammenarbeiten und ihnen durch den Index zeigen, wo und wie sie sich verbessern können.
Und wie haben andere Länder reagiert?
Eine Reihe von Staaten war ebenfalls überrascht von den Ergebnissen – Venezuela und die Philippinen zum Beispiel. Andere haben erst durch die Studie von den Risiken im eigenen Land erfahren. Für uns wäre es das beste Ergebnis, wenn die Veröffentlichung dazu führte, dass die Verteidigungsministerien zusammen mit den Kollegen aus den Länderbüros von Transparency International den Bericht durchgingen.
Es ist das erste Mal, dass in diesem Umfang Material über einen politisch meist geheim gehaltenen Bereich veröffentlicht wurde.
Historisch betrachtet ist der Sicherheits- und Verteidigungssektor stets vor der Öffentlichkeit geschützt worden. Wir wollten an einem zentralen und vor allem öffentlichen Ort unser Wissen aus zwei Jahren Forschungsarbeit zugänglich machen und somit Transparenz schaffen. Das ist das Beste, was wir tun können.
Wie misst man die Korruptionsanfälligkeit?
Es gibt fünf zentrale Risikobereiche: Politik, Finanzen, Personal, Einsätze und Auftragsvergabe. Ein hohes Korruptionsrisiko bergen beispielsweise Militär- und Friedensmissionen. Der Missbrauch von Geldern gefährdet dabei nicht nur die Menschen vor Ort, sondern auch den gesamten Erfolg der Operation. Insgesamt haben wir 29 Korruptionsrisiken identifiziert und daraus einen Fragebogen erstellt. Ein Forscher hat die Fragen beantwortet, zwei weitere Forscher haben die Ergebnisse überprüft und gegebenenfalls ergänzt und den Entwurf der Regierung zur Stellungnahme zugeschickt. Danach haben wir alles zusammengefasst und den Regierungen die endgültige Version zur Verfügung gestellt. Sie konnten sich auch auf unserer Website dazu äußern.
Was sind die zentralen Ergebnisse?
70 Prozent der Staaten können sich gegen Korruption im Sicherheits- und Verteidigungssektor nur unzureichend wehren. Dazu gehören 20 der 30 größten Waffenimporteure und 16 der 30 größten Waffenexporteure. Nur in zwei Staaten – Australien und Deutschland – wird der Verteidigungssektor gut kontrolliert. Es gibt zu wenige politische Antikorruptionsmechanismen, die rechenschaftspflichtig und effektiv sind. Nur 50 Prozent haben transparente Verfahren für die Vergabe von Aufträgen. Darüber hinaus veröffentlichen 41 Staaten nicht oder nur begrenzt Informationen über ihren Verteidigungshaushalt. Die Bürger wissen nicht, was mit ihrem Steuergeld finanziert wird.
Mit welchen Herausforderungen haben Sie während Ihrer Arbeit gekämpft?
Es gab zwei: zu wenig Informationen und die einheitliche Bewertung der Informationen über die einzelnen Staaten.
- In Ländern, die nichts über ihren Verteidigungssektor preisgeben, wie zum Beispiel Nigeria, Ägypten oder Jemen, war es für unsere Forscher sehr mühsam, Zugang zu Informationen zu erhalten, um so gut wie möglich unsere Fragen zu beantworten. Wir haben deswegen vor allem einheimische Forscher ausgewählt, weil die ein gutes Verständnis von ihrem Land besitzen.
- Nach zwei Jahren Forschung war es dann die größte Herausforderung, eine Vergleichbarkeit der Ergebnisse von 82 untersuchten Ländern zu schaffen.
Algerien hat einen kritischen Wert bei der Messung seines Korruptionsrisikos erreicht – vor allem im finanziellen und operationellen Bereich. Was bedeutet das für die Bevölkerung?
Sie haben keinerlei Chance, sich selbst über Einsätze, Ausgaben oder Strategien ihrer Regierung zu informieren. Alles unterliegt der strengen Geheimhaltung und die Bürger können keinerlei Einfluss darauf nehmen. Sie wissen nicht, was auf politischer Ebene passiert und wie sich dies auf ihr Leben auswirken kann. Es gibt keine Transparenz und kein Vertrauen.
Stellt ein hohes Korruptionsrisiko eine reale Gefahr dar?
Ich sehe es als nationale Bedrohung. Korruption hemmt die Entwicklung einer Gesellschaft. Sie gefährdet das Leben der Bevölkerung und führt zu Verschwendungen in Millionenhöhe. Korruption ist ein tiefverwurzeltes Problem. Ein hohes Korruptionsrisiko weisen all jene Länder auf, die ihren Verteidigungs- und Sicherheitsbereich verschlossen halten. Die Gefahr entsteht dort. Ohne Kontrolle und Transparenz wird man das Korruptionsproblem insgesamt nicht bekämpfen können.
Das Korruptionsrisiko ist bei militärischen Einsätzen sehr hoch. Nur sechs von 82 Ländern haben Kontrollmechanismen, um Vorgänge zu überwachen. Ist Transparenz in Konfliktregionen und fragilen Staaten möglich?
Ja. In Kolumbien gibt es seit vierzig Jahren einen bewaffneten Konflikt zwischen dem Militär und der Guerrilla. Trotzdem haben sie große Fortschritte bei der Korruptionsbekämpfung gemacht. Heute gehen wir von einem „moderaten“ Risiko aus. In den letzten zehn Jahren haben sich auch Bosnien-Herzegowina, Serbien oder Mosambik stark verbessert. Das liegt daran, dass der Verteidigungs- und Sicherheitsbereich eine wichtige Rolle in ihrer Politik spielt. Durch Korruption büßen sie Handlungs- und Steuerfähigkeit ein – das Risiko können sie nicht dauerhaft eingehen.
Kann es Transparenz bei geheimen Missionen geben?
Australien und Deutschland, die einzigen Staaten mit einem sehr niedrigen Korruptionsrisiko, haben es geschafft. Sie kontrollieren das Ausmaß an nötiger Geheimhaltung durch einen Ausschuss, der die geheimen Aktivitäten überwacht. Transparenz ist dadurch möglich. Darüber hinaus werden nur ein bis zwei Prozent des Verteidigungshaushalts für geheime Missionen ausgegeben. Viele Länder geben öffentlich Auskunft über ihr Budget. Es gibt Websites, die wöchentlich neue Informationen über militärische Aktivitäten veröffentlichen. Sie sind nicht geheim.
Whistleblower und Journalisten spielen beim Aufdecken von Korruption eine entscheidende Rolle. Sie leben dadurch allerdings gefährlich.
Ja, das stimmt. Die Studie macht deutlich, wie wenig Verteidigungsministerien in den Schutz von Whistleblower investieren. Nur zehn Prozent der Staaten haben Schutzmechanismen für Informanten entwickelt. Insgesamt zeigt sich, dass Whistleblower und Journalisten viel zu wenig unterstützt werden. Hier muss noch viel getan werden.
Wie geht es weiter?
Wir möchten den Index alle zwei Jahre herausgeben. Es ist zu viel Arbeit, ihn jährlich zu erstellen. Zudem ändert sich in einer so kurzen Zeit nicht viel. Wir wollen auch noch weitere Staaten untersuchen. Die 82 ausgewählten Staaten waren im Jahr 2011 für 94 Prozent beziehungsweise 1,6 Billionen Dollar der weltweiten Militärausgaben verantwortlich. Einige Staaten haben uns gefragt, warum wir sie noch nicht untersucht haben. Wir werden ihrer Einladung nachkommen.
Mark Pyman ist Direktor des Sicherheits- und Verteidigungspolitischen Programms von Transparency International United Kingdom.
mark.pyman@transparency.org.uk
http://government.defenceindex.org/