Soziale Ungleichheit

Niemand darf vergessen werden

Weniger soziale Ungleichheit ist die zentrale Voraussetzung für Armutsbekämpfung und nachhaltige Entwicklung. Zivilgesellschaftliche Akteure fordern, diesem Thema in der Post-2015-Agenda große Bedeutung einzuräumen.
Ungleichheit ist fast überall gewachsen: Slumhütten und Hochhäuser in Manila 2009. Hartmut Schwarzbach/argus/Lineair Ungleichheit ist fast überall gewachsen: Slumhütten und Hochhäuser in Manila 2009.

Es scheint international Konsens zu sein, die Armutsbekämpfung auch über 2015 hinaus auf der Agenda zu behalten. Die Forderung nach weniger Ungleichheit scheint nicht auf die gleiche breite Zustimmung zu stoßen. Dabei ist die ungleiche Verteilung von Reichtum, Ressourcen und Macht ein wichtiger Grund für anhaltende Armut und menschliches Leid. Warum sonst sterben trotz des großen materiellen Wohlstands der Menschheit täglich durchschnittlich 40 000 Menschen wegen Mangel an Nahrung und Trinkwasser sowie wegen fehlender medizinischer Grundversorgung?

Es ist inakzeptabel, dass 20 Prozent der Weltbevölkerung 80 Prozent der globalen Ressourcen verbrauchen. Um es klar zu sagen: Dieses Fünftel der Menschheit ist für die globale Erwärmung und Umweltzerstörung verantwortlich. Die ärmsten 20 Prozent hingegen verbrauchen nur 1,3 Prozent der globalen Ressourcen.

Die Forschung zeigt, dass in Gesellschaften mit relativ großer Ungleichheit physische und psychische Krankheiten, Verbrechen und viele gesellschaftliche Probleme verbreiteter sind als in Gesellschaften, in denen Einkommen und Wohlstand gleichmäßig verteilt sind. Ungleichheit produziert tendenziell weitere Ungleichheit. Je stärker eine Gesellschaft von kleinen Eliten dominiert wird, desto wahrscheinlicher sind Korruption, Unterdrückung und autoritäre Regierung. Es ist unlogisch, die Durchsetzung gleicher Rechte für alle zu erwarten, wenn in einer Gesellschaft große Ungleichheit herrscht.

Genauso absurd ist es zu glauben, die Not der Ärmsten könne reduziert werden, ohne gleichzeitig die Privilegien der Reichsten zu beschränken. Wenn es uns ernst damit ist, niemanden in der Gesellschaft zurückzulassen, können wir nicht bestimmte Gruppen mit unverhältnismäßigem Reichtum unbelangt lassen.

Sicher, nachhaltige Entwicklung ist eine enorme finanzielle Herausforderung. Aber die Menschheit besitzt die notwendigen Ressourcen. Nur fünf Prozent der angehäuften Reichtümer der 12 Millionen reichsten Menschen der Welt wären mehr als genug, um die jährlichen Kosten für ein soziales Netz für die Ärmsten der Welt sowie Anpassung an den Klimawandel und seine Abmilderung zu finanzieren (siehe Beitrag "Exzessiver Reichtum" in der Seitenspalte: Hintergrund-Informationen).

 

Die MDG-Wunschliste

In den Augen zivilgesellschaftlicher Organisationen aus Entwicklungsländern waren die Millenniumsentwicklungsziele (MDGs) nicht mehr als eine ehrenwerte Wunschliste, die nicht zu einer überzeugenden politischen Agenda geworden ist (siehe E+Z/D+C 2013/07–08, S. 281 ff.). Denn die Ziele waren nicht bindend und sie konnten es auch nicht sein, weil die Mittel, um sie zu erreichen, nicht definiert waren.

Der offensichtliche Grund war, dass die Mittel zur Bekämpfung sozialer Ungleichheit umstritten sind. Die meisten von ihnen passen nicht in die neoliberale Philosophie, der zufolge die Regierung nur sicherstellen muss, dass die Privatwirtschaft Wachstum schafft. Das soll dann dazu führen, dass die Wachstumswelle alle mit nach oben trägt. Aus dieser Perspektive können Politiker höchsten „inklusives“ Wachstum fördern, das Arbeitsplätze schafft, und vielleicht minimale Arbeitsrichtlinien durchsetzen.

Um Ungleichheit zu verringern, sind aber andere politische Maßnahmen wichtiger, wie etwa der universelle Zugang zu sozialen Dienstleistungen. Schulen, Krankenhäuser und andere Einrichtungen dürfen nicht dem Markt überlassen werden. Die Erfahrung zeigt, dass die Kräfte des Marktes allein nicht in der Lage sind, gute Bildung und Gesundheitsversorgung für alle bereitzustellen. Daher brauchen wir starke öffentliche Institutionen.

Um solche öffentlichen Einrichtungen zu schaffen und auszubauen, müssen wir von den Reichen höhere Steuern verlangen. Und wir müssen die Steuerhinterziehung eindämmen. Gleichzeitig würde höhere effektive Besteuerung an sich dazu beitragen, Ungleichheit zu reduzieren.

Eine progressive Besteuerung ist unerlässlich, aber nicht genug. Wir brauchen auch Vermögensumverteilung. Ohne einschneidende Landreformen etwa ist es unmöglich, das Los der Landpächter und Tagelöhner zu verbessern, die in den meisten Ländern zu den Ärmsten gehören. Gleichzeitig müssen wir gemeinschaftliche Formen des Besitzes oder der Verwaltung von Ressourcen fördern.

Wir müssen die Macht der Unternehmen einschränken. Wir müssen die Rechte der Arbeiter stärken. Wir müssen den Finanzsektor strenger regulieren. Wir müssen den Welthandel und die globale Währungsarchitektur reformieren. Alles in allem: Wir brauchen eine fortschrittliche globale Agenda.

Bisher bekommen wir das aber nicht. Stattdessen werden die alten Mantras vom Wachstum des privaten Sektors, von niedrigen Steuern und wenig Staat, Privatisierung und Liberalisierung bis zum Abwinken wiederholt. Die internationale Gemeinschaft diskutiert seit dem Weltgipfel in Rio 1992 über nachhaltige Entwicklung. Der Klimawandel hat in diesen Jahren an Geschwindigkeit zugelegt. Glaubt wirklich jemand, dass mehr von diesen alten Strategien das ist, was wir jetzt brauchen? Ist nicht offensichtlich, dass sie im Wesentlichen den Reichen geholfen haben, noch reicher zu werden?

Blickt man über 2015 hinaus, wäre es sicherlich sinnvoll, ein globales Ziel zur Reduzierung der sozialen Ungleichheit in allen Ländern zu vereinbaren. Es wäre auch sinnvoll, Gleichheitsbestrebungen in andere globale Ziele zu integrieren. Besondere Beachtung sollte dabei dem ärmsten Fünftel der Bevölkerung eines Landes geschenkt werden, weil Durchschnittsdaten für die Bewertung von Ungleichheit nicht taugen. Am wichtigsten ist aber, die richtigen Strategien zur Förderung des Allgemeinwohls zu verfolgen. Nur so lässt sich größere Gleichheit und eine gerechte Entwicklung erreichen.

 

Paul Quintos arbeitet für die IBON-Stiftung, eine internationale Nichtregierungsorganisation mit Sitz auf den Philippinen.
pquintos@iboninternational.org