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Nicaraguakanal

Bürgerrechte sind nichts wert

Nicaraguas Regierung träumt vom großen Geld: Mit einem eigenen Projekt will sie dem Panamakanal Konkurrenz machen. Doch das Megavorhaben scheint ökonomisch nicht durchdacht und läuft außerdem Gefahr, zu einem ökologischen Desaster zu werden. Bürger und Umweltverbände protestieren, doch die Verträge sind bereits unterzeichnet. Von Cecilia Medal Salaverry
Ökosystem in Gefahr: Der Nicaraguasee ist der größte Wasserspeicher und die wichtigste Trinkwasserquelle der Region. Johanna Kirchner Ökosystem in Gefahr: Der Nicaraguasee ist der größte Wasserspeicher und die wichtigste Trinkwasserquelle der Region.

Bisher ist der Panamakanal, der Mittelamerika an einer nur 82 Kilometer breiten Stelle durchschneidet, die einzige Wasserstraße, die Atlantik und Pazifik für die Schifffahrt verbindet. Spätestens seit er für die jüngste Frachtschiff-Generation zu eng geworden ist, träumt auch Nicaragua davon, in das lukrative Geschäft einzusteigen. Im Jahr 2012 beschloss das Parlament daher den Bau eines eigenen großen interozeanischen Kanals. Die Wasserstraße von 278 Kilometern Länge soll durch den großen Nicaraguasee führen und ausreichend Platz für Schiffe bieten, die mehr als 13000 Container geladen haben und somit nicht durch den Panamakanal passen.

Doch das Projekt droht vom Traum von Entwicklung und Wohlstand zum Alptraum für die Anwohner und die Umwelt zu werden. Neben Zweifeln an der Wirtschaftlichkeit befürchten Aktivisten und Anwohner schwere Umweltschäden sowie Zwangsumsiedelungen und Enteignungen.
 

Schlecht durchdachte Verträge

Die Regierung hat die nötigen Vereinbarungen zum Kanalbau in den Jahren 2012 und 2013 in aller Eile vorbereitet und unterzeichnet. Innerhalb von nur drei Stunden genehmigte die Nationalversammlung im Juni 2013 die Konzessionsvergabe – obwohl es um einen Vertrag geht, der ein ganzes Jahrhundert lang gültig ist. Der Auftrag wurde daraufhin an ein in Hongkong registriertes Unternehmen vergeben, die HKND Group. In ihrem Namen unterzeichnete Wang Jing, ein chinesischer Staatsbürger, das Abkommen.

Experten warnen vor Fallstricken im Vertragswerk. Hinter der HKND Group steht ein Konsortium aus 15 Gesellschaften und Briefkastenfirmen, die Wang Jing alle zwischen 2012 und 2013 eigens für das Projekt gegründet hat. Nur eins von ihnen ist in Nicaragua registriert, fünf auf den Cayman-Inseln, alle weiteren in Europa und Asien. Nur eins der Unternehmen hat einen Kapitalstamm von mehr als $ 1 500, und keins hat Erfahrung in der Entwicklung großer Infrastrukturprojekte. Experten zufolge führt das komplexe Unternehmensnetzwerk dazu, dass Verantwortlichkeiten der einzelnen Unternehmen gegenüber dem Staat verwischen. Bei Problemen könnte es schwierig werden, die Verantwortlichen haftbar zu machen.
 

Weitreichende Rechte für die Bauherren

Der Vertrag überträgt dem Konzessionär umfangreiche Rohstoffabbau- und Landnutzungsrechte: Die Regierung stellt der HKND Group alle öffentlichen und privaten Ländereien zur Verfügung, die sie für den Bau des Kanals beansprucht. Zudem gewährt sie ihr uneingeschränkte Rechte über natürliche Ressourcen wie Wälder und Grundwasser, bei Bedarf sogar aus anderen Landesteilen.

Außerdem wird der Konzessionär rechtlich und steuerlich stark begünstigt. So ist die HKND Group für alle mit dem Kanal verbundenen Bauvorhaben von Steuerzahlungen befreit. Dazu zählen unter anderem der sogenannte Canal Seco – eine Eisenbahn- und Straßenverbindung entlang des Kanals –, eine Pipeline, zwei Häfen und ein Flughafen. Darüber hinaus regelt der Vertrag, dass die HKND Group nicht verwaltungs-, wirtschafts-, zivil- oder strafrechtlich belangt werden darf. Dadurch haben die nicaraguanischen Behörden kaum eine Handhabe, um die Rechte der Bevölkerung zu schützen.

Der Preis, den das Unternehmen dafür zahlt, ist nicht einmal hoch: Während das Land Nicaragua für seine Verpflichtungen gegenüber dem Konzessionär mit den Zentralbankreserven einsteht, muss dieser im Gegenzug laut Vertrag lediglich „versuchen“, 100 Millionen Dollar in Raten an den nicaraguanischen Staat zu zahlen. Jedes Jahr soll dieser ein Prozent der Aktien überschrieben bekommen, so dass er erst in 100 Jahren über 100 Prozent der Anteile verfügen wird.
Dass eine Vereinbarung, die für Nicaragua und seine Bürger dermaßen nachteilig ist, so schnell unterzeichnet wurde, wirft die Frage auf, wer die wahren Nutznießer dieser Vereinbarung sind.



Intransparente Vergabe

Diese Vermutung wird durch die intransparente Vergabe des Projekts verstärkt. Die nicaraguanische Menschenrechtskommission CIDH kritisiert, dass die Regierung die Auswirkungen auf die Bevölkerung nicht prüfen ließ, geschweige denn in die Entscheidung mit einbezog.

Schätzungen zufolge leben mehr als 100 000 Menschen auf dem Gebiet des geplanten Kanals, darunter viele indigene und afrikanisch-stämmige Gruppen. Der Sprecher des Projekts, Telémaco Talavera, gab im April zu, dass sie jetzt erst beginnen wollen, die Anwohner zu konsultieren – reichlich spät, wenn man bedenkt, dass sie sich auf Enteignungen und Zwangsumsiedlungen in großem Umfang gefasst machen müssen.

Dies ist umso gravierender, als die Betroffenen nicht angemessen entschädigt werden. Laut dem neu beschlossenen Gesetz 840 bekommen Betroffene bei Enteignungen nur den Katasterwert ihres Grundstücks erstattet, der weit unter dem Marktwert liegt.

Die Regierung scheint aber auch sonst wenig Interesse an einer offenen und transparenten Diskussion zu haben. Ein Indiz dafür ist die Festnahme und anschließende Ausweisung der belgischen Fotoreporterin Michèle Sennesael Ende 2014. Die Journalistin hatte Informationen über das Projekt gesammelt und seine Auswirkungen auf die betroffenen Gemeinden analysiert. Ihren Angaben zufolge wurde sie daraufhin von Polizisten und Soldaten misshandelt.

 

Sorge vor Umweltschäden

Auch bei Umweltschützern stößt das Bauvorhaben auf große Kritik. Vor allem die geplanten Baggerarbeiten am Nicaraguasee bereiten ihnen Sorge. Der Nicaraguasee ist der größte Wasserspeicher der Region und die wichtigste Trinkwasserquelle für die Nicaraguaner. Da der See mit durchschnittlich 12,5 Metern nur knapp halb so tief ist wie der geplante Kanal, soll darin ein Graben von zusätzlich 15 Metern Tiefe, 500 Metern Breite und 105 Kilometern Länge ausgehoben werden. Dafür müssen Millionen Tonnen Erde vom Grund des Sees abgetragen werden. Zusammen mit den Turbulenzen durch die Schifffahrt könnte dies die Wasserqualität deutlich beeinträchtigen und die Flora und Fauna beschädigen.

Zudem soll der Kanal das Biosphärenreservat Rio San Juan und das Naturschutzgebiet Cerro Silva durchlaufen, was die Zerstörung von fast 200 Hektar Wald, Küste und Feuchtgebieten bedeuten kann. Betroffen ist zum Beispiel das Feuchtgebiet San Miguelito, das durch die internationale Ramsar-Konvention geschützt ist, einen völkerrechtlichen Vertrag zum Naturschutz.

Experten kritisieren besonders, dass bisher keine verlässliche Umweltverträglichkeitsstudie durchgeführt wurde. Zwar liegt eine erste Studie des Unternehmens Environmental Resources Management (ERM) vor, sie wurde aber innerhalb von wenigen Tagen angefertigt und vom Umweltministerium nach nur einem Tag abgenommen. Der Umweltorganisation Centro Humboldt zufolge ist sie viel zu oberflächlich. Ein solch folgenschweres Projekt, das die Wasserversorgung des ganzen Landes gefährden könne, müsse viel sorgfältiger geprüft werden. Eine Studie des Centro Humboldt selbst kommt zu dem Schluss, dass das Projekt aus ökologischer Sicht nicht tragbar ist.

 

Konkurrenz aus Panama
 

Trotz dieser ernsten Risiken versuchen die Sprecher des Projekts die Bevölkerung zu beruhigen, indem sie immer wieder beteuern, dass der Schaden geringer sei als der wirtschaftliche Nutzen. Der Privatsektor, vor allem die Bauwirtschaft, zeigt sich begeistert und stellt fleißig Berechnungen an, welche Gewinne das Megaprojekt einbringen wird.

Dagegen fürchten Kritiker, dass die Nachfrage deutlich kleiner ausfallen könnte als erwartet. Zudem ist auch Panama längst auf die Idee gekommen, seinen Kanal für größere Schiffe auszubauen. Die Regierung hat bereits mehr als 5 Milliarden Dollar in Erweiterungen des Kanals investiert. Nichts hindert Sie daran, eine weitere Expansion vorzunehmen. Die ökonomischen, ökologischen und sozialen Kosten wären um ein Vielfaches kleiner als für den Neubau in Nicaragua.

Doch dieser ist bereits auf den Weg gebracht. Mit einer symbolischen Zeremonie leitete die Regierung am 22. Dezember 2014 den Baubeginn ein. Allerdings wurden bis heute nur unwesentliche Arbeiten durchgeführt – weshalb, ist nicht ganz klar. Es gibt Gerüchte über Spannungen zwischen den Behörden und dem Konzessionär. Wenn der Kanal aber eines Tages gebaut wird, wird er zum Mausoleum monumentalen Ausmaßes, in dem die Bürgerrechte des nicaraguanischen Volkes begraben sind.

Cecilia Medal Salaverry ist eine Feministin und Soziologin aus Nicaragua. Sie ist Mitglied des Kollektivs Aula Propia. csalaverry@gmail.com

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