Wirkungsforschung
Vom Schneeball zur Lawine
[ Von Winfried Kalhöfer, Balthas Seibold und Markus Wauschkuhn ]
Das prominenteste Beispiel für eine problematische Indikatorenauswahl sind sicherlich die Millenniumsentwicklungsziele (MDGs): Die wenigsten Länder haben zuverlässige Daten für das Basisjahr 1990, an denen die beabsichtigten Wirkungen gemessen werden sollen. Auch existiert kein System für das Monitoring der Daten. Ähnlich sieht es leider auch bei vielen nationalen Poverty Reduction Strategy Papers (PRSP) aus, an denen Geber ihre Mittelentscheidungen ausrichten.
Die Auswahl aussagekräftiger Indikatoren ist entscheidend für jedes M&E-System. Wenn ein Programm erst einmal läuft, ist eine falsche Wahl kaum noch zu korrigieren. InWEnt unterstützt durch Capacity Building den Prozess, die Daten im Einklang mit – und auf Basis von – bestehenden statistischen Systemen zu erheben und nicht zusätzliche, oft gebergetriebene Parallelsysteme aufzubauen.
Auch andere Aspekte sollten beim M&E berücksichtigt werden. Zum Beispiel: Wie schafft es ein einziger IT-Trainer, 200 Mitgliedern einer Kooperative beizubringen, mit dem Computer zu arbeiten? Wie wird aus einem Schneeball eine Lawine? In jedem Capacity-Building-Projekt, das auf Vermittlung und „Train the Trainer“ setzt, lautet die zentrale Frage: Wie kann man Trainingsprodukte breit und nachhaltig streuen?
Das Programm „it@coops“
Das InWEnt-Programm „Information Technology for Asian Cooperatives“ – kurz it@coops – ist ein Beispiel dafür, wie das funktionieren kann. Das Programm unterstützte kleine südostasiatische Kooperativen bei der Schulung und Weitergabe von IT-Know-how, der Förderung von lokalen IT-Zentren sowie der nationalen und regionalen Netzwerkbildung. Anschließend führten InWEnt und das Asian Women in Co-operative Development Forum (AWCF) eine Analyse dazu durch. Das Ergebnis ist folgende „Schneeball-Bilanz“:
– Der neu aufgebaute Pool von 70 IT-Multiplikatoren bildete innerhalb eines einzigen Jahres mehr als 5000 Kooperativenmitglieder fort. Es wurden auch zusätzlich ausgebildete Trainer eingesetzt.
– Lokale IT-Business Development Center in Indonesien, Philippinen und Thailand erreichten mehr als 21 000 Mitglieder der Zielgruppe.
– Klein- und Kleinstunternehmen der Kooperativen im ländlichen Raum erhielten Zugang zum Internet und Anschluss an wichtige Dienste im Bereich der Informationstechnik.
– Fast zwei Drittel der neuen Nutzer der Informationstechnologien sind Frauen. Die neu erworbenen Kompetenzen verbessern ihre Chancen, steigern ihr Selbstwertgefühl und ihre Produktivität und verschaffen ihnen Zugang zu Wissensquellen.
Kurz: das Projekt entwickelt sich im Sinne des Bundesministeriums für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung (BMZ), das it@coops in Auftrag gegeben hat. Inwieweit hat dazu das Wirkungsmonitoring beigetragen, das von Anfang an mitlief? In der Physik gilt: Man kann die Position eines Teilchens nicht messen, ohne es zu beeinflussen. In den Naturwissenschaften wird dieser Effekt oft als störend empfunden – bei Maßnahmen wie it@coops ist er gerade beabsichtigt. Im konkreten Fall identifizierten sich die Partner mit den Zielen, weil sie von Anfang an daran beteiligt waren, quantitative und qualitative Indikatoren zu erarbeiten und weiterzuentwickeln.
Diese Herangehensweise sensibilisierte und motivierte die Beteiligten. Sie machten selbst eine Erhebung, um herauszufinden, wie viele Frauen von den Computer-Schulungen der frischgebackenen Trainer profitierten. So etwas ist allerdings nur dann möglich, wenn Indikatoren und Benchmarks partizipativ erarbeitet und im Projektverlauf angepasst werden können.
Innovationen dank IT
Informationstechnologien eröffnen zudem neue Möglichkeiten der Wirkungsmessung. Zum Beispiel kann das Trainingsmaterial unter eine „ansteckende“ offene Lizenz gestellt werden, was in diesem Fall auch gemacht wurde. Das heißt, das Material bleibt – auch in überarbeiteten Versionen – öffentlich zugänglich. Es kann also im Prinzip von beliebig vielen Menschen genutzt werden. Die tatsächliche Verbreitung wird langfristig über eine Identitätsnummer verfolgt – ähnlich, wie es auch bei Musik und Videos mit Hilfe von „digital watermarking“ möglich ist.
Dass dieses Prinzip funktioniert, zeigt sich bei it@coops, das gewissermaßen als Marke aufgebaut wurde. Mittlerweile haben unter diesem Namen schon nationale Kongresse stattgefunden, und Google findet mehr als 3000 Webseiten mit Einträgen zu diesem Suchbegriff. Der Schneeball hat eine Lawine ausgelöst.
Darüber hinaus lassen sich einige Einflussgrößen nennen, die zum Gelingen von it@coops beigetragen haben:
– Es ist wichtig, die Teilnehmer nach
entwicklungsrelevanten Kriterien auszuwählen.
– Die ausgebildeten Trainer sollten in ihren Organisationsstrukturen eingebunden sein.
– Die emotionale Bindung durch nationales und regionales networking ist nützlich.
– Das Engagement der Partner vor Ort ist wesentlich – und finanzielle Beiträge sind willkommen.
– Das Training muss passgenau stimmen, wofür lokale Expertise nötig ist.
– Kooperativen – allen voran das AWCF – sollten sich an den Belangen armer Frauen orientieren.
Allerdings wurde bislang wenig untersucht, unter welchen Bedingungen ein Programm seine erwartete Wirkung entfaltet – und unter welchen nicht. Dieses Programm wird daher – wie einige andere auch – von externen Fachleuten noch einmal auf diese Frage hin untersucht. Schon jetzt ist klar, dass ähnliche Maßnahmen in Zukunft noch stärker berücksichtigen müssen, unter welchen Bedingungen Teilnehmer im Alltag arbeiten und welche Rolle ihre Vorgesetzten spielen.
Dass ein erfolgreiches Programm sich nicht einfach wiederholen lässt, ist eine so triviale wie alltägliche Erkenntnis. Die Erfahrung zeigt aber auch, dass es lohnt, sich klare Ziele zu setzen und genau zu beobachten, wie eine Maßnahme vorankommt.