Informationstechnik
Nur digitale Propaganda?
Indien gilt weltweit als Vorreiter in der Informationstechnologie (IT) und im Outsourcing von Geschäftsabläufen. Dieser Erfolg beruht auf der großen Zahl der verfügbaren Absolventen technischer Studiengängen, aber auch auf staatlichen Finanzanreizen und dem Entstehen von Technologiezentren in verschiedenen Städten.
Die indische IT-Branche macht inzwischen einen Jahresumsatz von rund 150 Milliarden Dollar. Sie ist exportorientiert, aber ein Drittel ihrer Einnahmen erzielt sie heute in Indien, wozu Mobilfunk und das Internet beigetragen haben. Es gibt jetzt rund 980 Millionen Mobiltelefon-Verträge in Indien. Etwa 160 Millionen von 300 Millionen Internetnutzern kommen mobil per Handy oder Tablet-Computer ins Netz. Der online-Handel wächst, und soziale Medien sind beliebt.
Digitale Methoden werden genutzt, um Öffentlichkeitsarbeit zu machen und Ideologien zu verbreiten. Das tut beispielsweise Premierminister Narendra Modi von der rechten Bhartiya Janata Party (BJP). Ende September hatte sein Twitter-Account mehr als 15 Millionen „Follower“ und seine Facebook-Seite mehr als 30 Millionen „Likes“ – Tendenz rasant steigend. Im Juni wurde eine nach Modi benannte App für Geräte mit Android-Software gestartet.
Der Premierminister äußert zudem den Ehrgeiz, seinen Landsleuten mit digitaler Technik Zugriff auf staatliche Dienstleistungen zu geben. Eine aktuelle Kampagne seiner Regierung heißt „Digital India“. Unter anderem sollen die Gemeinderäte von 250 000 Dörfern ans Breitband angeschlossen werden. Gratis WLAN-Hotspots sind in einigen Städten geplant, staatliche Dienstleistungen sollen digital erfolgen und IT-relevante Firmen werden gefördert.
Mit beachtlichem Erfolg wurden eine Reihe von behördlichen Abläufen schon vor langer Zeit digitalisiert. Dabei geht es zum Beispiel um die Ausstellung von Führerscheinen und Pässen, Steuererklärungen oder Einträge in Grundbücher. Diese Art von e-Verwaltung erspart den Bürgern langwierige Behördengänge. Jetzt bekommen sie alle das Etikett „Digital India“. Obendrein sollen alle Ministerien nun zusätzlich zu ihren Websites auch Apps entwickeln. Für alle Lieblingsvorhaben des Regierungschefs – von der Sanitärversorgung bis hin zum Schutz von Mädchen – gibt es selbstverständlich auch Apps. Über sie lassen sich Texte, Grafiken, Audiodateien und Videos aufrufen.
Modi bittet darum, ihm Ideen mitzuteilen und Bilder zu schicken, und manchmal twittert er derlei dann auch weiter. Das weckt erhebliches öffentliches Aufsehen und erreicht vor allem seine Verehrer. Ob es wirklich dazu beiträgt, dass weniger weibliche Föten abgetrieben werden, wenn Leute per Mobiltelefon Fotos von ihren Töchtern verschicken, bleibt aber abzuwarten. Es steht auch nicht fest, dass der Mangel an Bildungs- und Gesundheitseinrichtungen dadurch reduziert wird, dass viele Menschen auf Apps klicken.
Die Grundprinzipien von e-Governance und digitaler Bürgerbeteiligung sind Bürokratieabbau und die Ausschaltung von Mittelsleuten, damit Beamte direkt mit den Erwartungen ihrer Klienten konfrontiert werden. Das verringert Gelegenheiten für korruptes Verhalten. Erfolg hängt aber davon ab, dass der Staatsapparat reformiert wird. Der öffentliche Dienst wird in Indien nicht durch eine zusätzliche Schicht digitaler Angebote besser.
Es darf auch nicht vergessen werden, dass etwa 75 Prozent der Bevölkerung kein internetfähiges Gerät haben. Webangebote bringen ihnen also nichts. Digitale Bürgerbeteiligung erfordert deshalb mehr als schicke Apps. Es geht um Gerechtigkeit, Zugang und Erschwinglichkeit. Die bestehenden Hindernisse zu überwinden wird innovative Lösungen erfordern sowie eine Reform des Staatsapparats mit den Zielen Transparenz und Rechenschaftspflicht. Wenn das nicht gelingt, wird Digital India ein leerer Slogan bleiben.
Dinesh C. Sharma ist Journalist und Fellow am Centre for Media Studies in New Delhi.
dineshcsharma@gmail.com