Nachhaltigkeit
„Überholte Techniken gleich überspringen“
Warum zeigen Regierungen von Entwicklungsländern immer noch relativ wenig Interesse an Alternativen zu fossilen Energieträgern?
So pauschal stimmt das nicht. Vor zehn Jahren, als in Bonn die internationale Renewables-Konferenz stattfand, dachten viele Fachleute aus Entwicklungsländern immer noch, Wind- und Sonnenkraft seien eine Art unzuverlässige Billigenergie für Arme. Sie interessierten sich damals allenfalls für große Staudämme und Wasserkraftanlagen. Das hat sich aber geändert, weil die Leute sehen, dass die Industrieländer selbst erneuerbare Energiequellen in großem Stil nutzen wollen. China und Indien verfolgen beispielsweise heute sehr ehrgeizige, milliardenschwere Ausbaupläne, was solche Techniken angeht.
Aber die Regierungen von kleineren Entwicklungsländern sind oft noch sehr skeptisch.
Das hat damit zu tun, dass sie Lösungen wollen, von denen sie wissen, dass sie zuverlässig funktionieren. In gewisser Weise hat sich die Diskussion um 180 Grad gedreht. Früher dachten sie, die reiche Welt wolle sie auf einen zweitklassigen technologischen Pfad locken. Jetzt denken sie eher, die alternativen Konzepte seien so kompliziert und erforderten so viel Wissen, dass nur die reiche Welt sich das leisten könne. Da ist auch etwas dran. Ein dezentrales Energieversorgungssystem auf erneuerbarer Grundlage ist komplex. Es erfordert sorgfältige Steuerung mit aufwendiger Datenverarbeitung. Nötig sind obendrein präzise meteorologische und geografische Kenntnisse, um Windräder und Solarpanels optimal auszurichten und zu vernetzen. Für einen Energieminister in einem afrikanischen Land kann es da schon attraktiver erscheinen, ein großes konventionelles Kraftwerk bauen zu lassen und damit alle Versorgungsprobleme in einer Region zu lösen.
Zentralistische Strategien stärken sicherlich auch die Macht des Ministers.
Auf den ersten Blick mag das so aussehen, er ist dann aber auch für die Misserfolge zuständig. Selbstverständlich muss auch ein dezentrales Versorgungsnetz kompetent organisiert werden, so dass es sicherlich auf Dauer Aufgaben für die nationale Regierung gibt. Ein echtes Problem ist allerdings, dass viele Länder sehr stark auf den Zentralstaat ausgerichtet sind. Sie haben keine starken Kommunal- oder Regionalverwaltungen. Entsprechend fehlen der Zentralregierung dann qualifizierte Partner auf der subnationalen Ebene, was die Verwirklichung dezentraler Strategien natürlich erschwert. Auch Privatinvestoren brauchen zudem für solche Zwecke Partner in den Regionen.
Oft wird der Ausstieg aus der fossilen Energietechnik als lästige klimapolitische Pflicht dargestellt. Welche Chancen werden dabei übersehen?
Erneuerbare Energieträger haben viele Vorteile, die nichts mit Klimaschutz zu tun haben – wobei Klimaschutz selbstverständlich auch ein wichtiger und unverzichtbarer Vorteil ist. Es gibt aber in der Tat noch viele andere wichtige Aspekte:
- Wenn ein Land sich mit erneuerbarer Energie versorgt, wird es von Ölimporten unabhängig. Das ist für die Handelsbilanz gut. Es entlastet aber auch Staatshaushalte überall dort, wo der Energiesektor bislang subventioniert wird. Angesichts hoher Ölpreise auf dem Weltmarkt sind das sehr wichtige Faktoren.
- Spannungen rund um die Kohleförderung können reduziert werden. Viele Länder beuten ihre eigenen Rohstoffvorkommen aus. Allerdings gibt es dabei regelmäßig heftige Konflikte um Landnutzungsrechte und die Umweltbelastungen, die mit dem Bergbau zusammenhängen. Die Arbeitsbedingungen in der Branche sind meist sehr hart, und auch das führt zu Konflikten.
- Es ist sinnvoll, nicht in großem Stil Geld in Infrastruktur für die Nutzung fossiler Energie zu stecken, weil klar ist, dass die entsprechende Technik nicht auf Dauer verwendet werden kann. Nachholende Entwicklung, bei der kopiert wird, was die reiche Welt vorgemacht hat, mag leichter erscheinen, als Innovationen voranzutreiben. Sie wird sich aber über die Zeit auch als viel teurer erweisen. Es ist klüger, überholte Techniken gleich zu überspringen, als massiv in sie zu investieren.
- Dezentrale Energieversorgung ist beschäftigungsintensiv und lässt sich in bisher vernachlässigten Gegenden schnell verwirklichen. Es entstehen heute schon attraktive neue Erwerbschancen, weil in vielen Ländern Märkte für kleine Solaranlagen von unten wachsen – und zwar vor allem dort, wo es bisher keine zentrale Stromversorgung gibt oder wo diese besonders unzuverlässig ist.
- Konventionelle Kraftwerke belasten die Atemluft. Das ist, neben dem Klimaschutz, ein wichtiger ökologischer Grund, weshalb China und Indien an Alternativen großes Interesse zeigen. Den Regierungen dort ist klar, dass es die Bürger ihrer Ballungsräume ärgert, dass sie gesundheitlich darunter leiden müssen. Den Verantwortlichen gefällt auch nicht, dass Städte wie Beijing oder Delhi weltweit für Smog bekannt sind.
Welche anderen Motive treiben die Regierungen dieser beiden Länder mit Blick auf erneuerbare Energien an?
Sie kennen natürlich all die Argumente, die ich eben aufgezählt habe. Sie wissen darüber hinaus aber auch, dass sie eine besondere klimapolitische Verantwortung schultern müssen, weil ihre Länder in hohem Maße Treibhausgase ausstoßen. Zudem bedroht die globale Erwärmung ihre Länder auch besonders. Auf Weltkonferenzen betonen sie immer die Verantwortung der alten Industrieländer, was aus historischen, finanziellen und technologischen Gründen auch nicht falsch ist. Den Entscheidungsträgern in Beijing und Delhi ist aber zugleich klar, dass das nicht die ganze Wirklichkeit ist – und in der Diskussion mit asiatischen Nachbarn kommen sie damit auch nicht weiter.
Beide Länder halten aber an Kohle fest.
Das stimmt. Beide haben einen riesigen Energiebedarf, und die heimische Kohle ist vergleichsweise billig. Wichtig ist, dass sie sich für moderne, zukunftsweisende Lösungen interessieren und auch daran arbeiten.
Wird die deutsche Energiewende international als vorbildlich wahrgenommen?
Ja, es beeindruckt unsere Partner weltweit, dass wir uns zutrauen, auf Atomkraft zu verzichten und zugleich die Volkswirtschaft zu dekarbonisieren. Sie interessieren sich für unsere Erfahrungen und wollen von unserem Wissen profitieren. Ich glaube aber, dass Deutschland noch mehr tun könnte, um als energiepolitisches Vorbild wahrgenommen zu werden.
Wie meinen Sie das?
Jennifer Morgan vom World Resources Institute sagt, wenn die USA solch eine riesige Transformation angehen würden, würden sie gleich hundert Energiebotschafter in alle Welt schicken, um ihre Politik zu erklären. Die Bundesregierung hat so etwas nicht getan …
… und sie tut sich sogar schwer damit, unsere EU-Partner zu überzeugen.
Das stimmt leider, und das hat unter anderem damit zu tun, dass die Energiewende nicht klar genug konzipiert ist. Die Ziele Atomausstieg und Dekarbonisierung sind nicht dasselbe, und bis heute ist nicht präzise definiert, was die Priorität ist. Viele Akteure sind in diesen Prozess involviert – unter anderen die Energieversorgungsunternehmen, die Landesregierungen und die Kommunen, alle mit unterschiedlichen Prioritäten. Klarere Zielsetzungen und Rahmendaten wären aber hilfreich, unter anderem weil sie Planungssicherheit geben würden. Sie würden es aber auch leichter machen, die deutsche Politik international besser zu vermitteln.
Mir scheint, für die Bundesregierung hat der ausgeglichene Haushalt mittlerweile die oberste Priorität – und zwar auch mit Blick auf die internationale Politik. In der deutschen Öffentlichkeit kommt das gut an. Jedenfalls schreiben viele Zeitungen, die „schwarze Null“ sei vorbildlich, und die Welt bewundere uns dafür, dass wir sie schon fast erreicht haben.
Das mag sein, aber zugleich finden unsere Partner, dass ein Land, das finanzpolitisch so stark ist, sich international stärker für globale Gemeinschaftsgüter engagieren sollte. Und es ist ihnen natürlich aufgefallen, dass Bundeskanzlerin Angela Merkel nicht an dem UN-Sondergipfel zum Klima im September in New York teilgenommen hat, obwohl sie den Ruf hat, klimapolitisch besonders engagiert zu sein. Wie gesagt, Deutschland könnte mehr tun, um mit seiner eigenen Energiewende die internationale klima- und energiepolitische Agenda voranzutreiben. Auch die EU könnte mehr tun. Deutschland und Europa waren lange Vorreiter in der Klimapolitik und sollten beherzt daran arbeiten, das auch zu bleiben.
Warum ist Atomkraft keine Alternative zu fossiler Energie?
Dafür gibt es viele Gründe. Die drei wichtigsten sind:
- Fukushima hat bewiesen, dass selbst eine hochentwickelte, sicherheitsbewusste Nation wie Japan diese Technik nicht im Griff hat. Unfälle mit schrecklichen Folgen sind nicht nur theoretisch möglich, sondern sie passieren irgendwann auch tatsächlich.
- Es gibt bis heute keine zuverlässigen Endlager für den radioaktiven Atommüll, der über Jahrtausende gefährlich bleibt.
- Atomstrom ist teuer und erfordert auch heute noch staatliche Förderung. Er ist betriebswirtschaftlich nicht rentabel, wenn die Unternehmen, die ihn generieren, auch den Müll entsorgen müssten. Staaten müssen auch alle anderen Risiken abdecken, weil privatwirtschaftliche Versicherungen das nicht tun – und angesichts der möglichen Kosten auch gar nicht können.
Sie sind die Themenpatin für die „ökologische Dimension von Nachhaltigkeit“ im Rahmen der Zukunftscharta, die das Bundesministerium für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung mit breiter öffentlicher Partizipation vorbereitet. Wie sieht die deutsche Öffentlichkeit die Energiewende?
Viele Rückmeldungen stammen von umwelt- oder entwicklungspolitisch motivierten Menschen und Organisationen, und sie wollen generell die Energiewende schneller und konsequenter vorantreiben. Zugleich sehen aber auch Akteure wie die Industrieverbände und die Kommunen, dass die Energiewende und die Senkung der Treibhausgasemissionen nötig ist. Große Skepsis ist jedenfalls nicht zu spüren.
Verfügt die Menschheit denn über die nötige Technik, um beim Pariser Klimagipfel nächstes Jahr ein stimmiges Weltabkommen zu schließen?
Das Problem ist der politische Wille, nicht die Technik – und übrigens auch nicht das Geld. Verschiedene Studien zum Thema haben gezeigt, dass die Finanzierung einer auch klimapolitisch ehrgeizigen Energiewende machbar ist. Wenn die richtigen Rahmenbedingungen geschaffen werden, finden sich auch private Investoren. Nötig ist aber umfangreiches Wissen – darüber, was funktioniert, welche Ansätze sich bewähren, wie sich komplexe Systeme steuern lassen und so weiter. Um die internationalen wirtschaftlichen Rahmenbedingungen zu klären und um Lernprozesse zu beschleunigen, ist internationale Zusammenarbeit wichtig. Das gilt umso mehr, als es bei der Dekarbonisierung ja nicht nur um den Energiesektor geht, sondern um alle Branchen: Verkehr, Landwirtschaft, Wohnungswesen ... Strukturen müssen umgebaut werden. Dabei gehen Arbeitsplätze in einigen Sektoren verloren, und in anderen werden neue geschaffen. Eine frisch erschienene Studie, „Better growth, better climate: the new climate economy“, zeigt, wo internationale Zusammenarbeit ansetzen kann, um diese Aufgabe zu stemmen. Sie wurde gemeinsam von Kolumbien, Äthiopien, Indonesien, Norwegen, Südkorea, Schweden und Britannien in Auftrag gegeben – man sieht, dass Klima- und Energiepolitik ein globales Thema jenseits von Nord-Süd-Mustern geworden ist.
Die Fragen stellte Hans Dembowski.
Imme Scholz ist stellvertretende Direktorin des Deutschen Instituts für Entwicklungspolitik und Mitglied des Rats für Nachhaltige Entwicklung, den die Bundesregierung einberufen hat. Im Rahmen der Zukunftscharta des Bundesministeriums für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung ist sie die Themenpatin für die „ökologische Dimension von Nachhaltigkeit“.
imme.scholz@die-gdi.de
http://www.zukunftscharta.de
Link:
Global Commission on the Economy and Climate:
Better growth, better climate: the new climate economy.
http://newclimateeconomy.net