Entwicklung und
Zusammenarbeit

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Bundesregierung

„Globale Zukunfts- und Friedenspolitik“

Kurz vor Weihnachten wurde der CSU-Politiker Gerd Müller zum neuen Bundesminister für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung berufen. Im Januar erläuterte er E+Z/D+C in einem Interview die Grundausrichtung seiner Politik.
Gerd Müller 2010 in Äthiopien. BMZ Gerd Müller 2010 in Äthiopien.

Der Koalitionsvertrag von CDU, CSU und SPD ist, was Entwicklungspolitik angeht, breit aufgestellt und nennt umfassend alle aktuellen Stichworte von der unmittelbaren Nothilfe über Armutsbekämpfung und Umweltschutz bis hin zu den Menschenrechten von sexuellen Minderheiten. Was sind ihre persönlichen Schwerpunkte?
Die zunehmende Weltbevölkerung, Hunger, Armut und Ungleichheit, die Bedrohung durch den Klimawandel, zunehmende Konflikte – es braucht nur ein paar Stichworte, um zu zeigen: Das Bundesministerium für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung (BMZ) beschäftigt sich mit den globalen Überlebens- und Zukunftsfragen. Und in unserer globalisierten Welt sind Probleme und ihre Ursachen sehr eng miteinander verflochten. Oder anders gesagt: Was in einem Teil der Welt passiert, hat unmittelbare Auswirkungen auf alle anderen. Wir müssen das als Weltgemeinschaft gemeinsam angehen. Ich möchte deswegen schon bald mit der Zivilgesellschaft und anderen Akteuren der deutschen Entwicklungspolitik in einem offenen Dialog eine Zukunfts­charta über die Schwerpunkte meiner Politik erarbeiten.

In die neue Legislatur fällt das entwicklungspolitische Schicksalsjahr 2015. Ab diesem Zeitpunkt benötigen wir ein neues globales Zielsystem für unsere internationale Zusammenarbeit. Es soll den beiden größten globalen Herausforderungen – Überwindung von extremer Armut und Hunger in der ganzen Welt und Sicherung der natürlichen Lebensgrundlagen unseres Planeten, also die Bewahrung unserer Schöpfung – Rechnung tragen. Entwicklung und Nachhaltigkeit müssen darin zusammengeführt werden, denn sie sind zwei Seiten der gleichen Medaille. Diesen Prozess möchte ich mit unseren europäischen und internationalen Partnern zu einem erfolgreichen Ergebnis führen.

Wichtig ist mir auch, meine Erfahrungen aus dem Landwirtschaftsministerium einzubringen. Hier habe ich mich intensiv mit Fragen der globalen Ernährungssicherung beschäftigt und dabei auch Projekte zum Beispiel in Äthiopien umgesetzt. Ein konkreter Ausgangspunkt für die Bekämpfung von Armut ist die Frage, wie wir die Weltbevölkerung künftig ernähren wollen. Schon jetzt hungert eine Milliarde Menschen. Da drei Viertel der armen und an Hunger leidenden Menschen weltweit auf dem Land lebt, ist es zwingend, dass wir die ländlichen Regionen in Entwicklungsländern stärker in den Fokus nehmen.

Wie muss künftig die Welternährung gesichert werden – mit technologieintensiven Hochleistungsplantagen oder mit organisch betriebenen Familienhöfen – oder ist vielleicht diese Dichotomie falsch?
Im Jahr 2050 werden voraussichtlich 9,6 Milliarden Menschen auf der Erde leben – der weitaus größere Teil davon in Entwicklungs- und Schwellenländern. Alle Experten sagen uns, dass die Erde diese Menschen ernähren kann, wenn wir es richtig anstellen. Dazu müssen wir die Produktivität der Landwirtschaft in den Entwicklungsländern steigern, jedoch in umwelt- und klimaverträglicher Weise. Ich sehe keine Dichotomie, sondern eher einen erheblichen Handlungsbedarf bei den mehrheitlich kleinbäuerlichen Betrieben in Entwicklungs- und Schwellenländern. Oft braucht es gar nicht viel, um deren Ertrag beträchtlich zu steigern: Zugang zu modernen Produktionsmethoden, Saatgut, Dünge- und Bewässerungstechniken und Beratung können viel bewirken, ich habe das in Äthiopien selbst eindrucksvoll erlebt. Dafür ist jedoch ein integrierter Ansatz notwendig. Es geht darum, einen nachhaltigen und sozial ausgewogenen Strukturwandel in den ländlichen Regionen herbeizuführen. Dazu gehört auch der Zugang zu geeigneten Absatzmärkten, Investitionen in Infrastruktur, in Bildung und Gesundheitsversorgung, die Schaffung von Arbeitsplätzen und vieles mehr. Die nationalen Regierungen müssen die Rahmenbedingungen für eine solche Belebung der ländlichen Wirtschaft schaffen. Wir können unseren Partnern vor Ort Know-how auf Augenhöhe zur Verfügung stellen.
 
Die biologische Vielfalt von Agrarpflanzen ist die Grundlage aller Landwirtschaft, aber sie erodiert. Was ist zu tun?
Sie haben ganz recht, biologische Vielfalt ist wichtig für die Landwirtschaft, für die Züchtung, aber auch für die Produzenten und Konsumenten. Daher ist mir ihr Erhalt ein wichtiges Anliegen. Das BMZ fördert die 15 großen Zentren der Internationalen Agrarforschungspartnerschaft, die auch die wichtigsten Genbanken dieser Welt für Agrarpflanzen pflegen und nutzen, mit 20 Millionen Euro jährlich. Darüber hinaus unterstützen wir in verschiedenen Kooperationsprojekten den In-situ-Erhalt biologischer Vielfalt, also beispielsweise den Anbau und den Schutz traditioneller Pflanzensorten.

Biodiversität ist nur eines von vielen wichtigen globalen öffentlichen Gütern. Wie sehen Sie den Zusammenhang von Global Public Goods und Entwicklungspolitik?
Entwicklungspolitik ist globale Zukunfts- und Friedenspolitik. Deswegen ist der Schutz globaler öffentlicher Güter ein entscheidendes Thema für uns. Als Industrieländer haben wir da eine moralische und ethische Verantwortung. Beispiel Klimawandel: Die Industrieländer sind die Hauptverursacher, die Entwicklungsländer von den Auswirkungen aber am stärksten  betroffen. Der Schutz des Weltklimas liegt dabei auch in unserem Eigeninteresse, ebenso wie Frieden und Sicherheit, eine intakte Umwelt, ein faires Welthandelsregime oder ein stabiles globales Finanzregime. Die Sicherung unseres eigenen Wohlstandes ist nur möglich, wenn wir uns für das globale Gemeinwohl einsetzen und auch die Zukunftsperspektiven anderer Länder berücksichtigen.

Das bedeutet auch, dass wir das Thema Armutszuwanderung offen angehen müssen. Entwicklungspolitik kann hier einen präventiven Beitrag leisten, indem sie die Lebensverhältnisse in den Herkunftsländern der Migranten verbessern hilft, beispielsweise durch den Aufbau von Infrastruktur und die Schaffung von Arbeitsplätzen.

Was ist aus Ihrer Sicht die richtige Balance von bilateralem und multilateralem Engagement?
Es geht darum, die uns zur Verfügung stehenden entwicklungspolitischen Instrumente so effektiv wie möglich einzusetzen. Wir müssen sehen, wo sie ihren jeweils komparativen Vorteil haben, und dabei auch eine gewisse Flexibilität bewahren. Wenn wir uns als Weltgemeinschaft für den Schutz globaler Güter einsetzen, so müssen wir dies auf multilateraler Ebene tun. Hier sind die Vereinten Nationen oder die Welthandelsorganisation (WTO) der richtige Ort. Unsere bilateralen Projekte haben sich bewährt, wenn es darum geht, vor Ort partnerschaftlich zusammenzuarbeiten.

Im neuen Koalitionsvertrag wird die Bedeutung des Privatsektors weniger stark betont als im vorherigen von Unionsparteien und FDP. Heißt das, dass dieses Thema in der aktuellen deutschen EZ-Praxis jetzt richtig bewertet wird?
Richtig ist und bleibt: Nur mit einer breiten Koalition aller wird es gelingen, die aktuellen Herausforderungen zu bewältigen. Dazu zählt auch der private Sektor! Mit langfristigen Investitionen in Entwicklungsländern können Unternehmen wichtige Wachstumsimpulse setzen. Allerdings glaube ich nicht an Markt und Macht als alleinigen Motor für Entwicklung. Aus meiner Sicht gelingt uns dies nur über den Weg einer ökologisch-sozialen Marktwirtschaft mit klaren Grenzen, was zum Beispiel die Einhaltung von Menschenrechten oder Umweltstandards betrifft.

Ihr Vorgänger Dirk Niebel hat sich mit der Fusion von GTZ, DED und InWEnt zur GIZ sowie der Gründung von ENGAGEMENT GLOBAL und Deval, dem unabhängigen Evaluierungsinstitut, profiliert. Planen Sie weitere Reformen der deutschen Institutionenlandschaft?
Diese Reform war wichtig. Die jetzt folgende Phase sehe ich eher in einer Konsolidierung der neu geschaffenen Strukturen. Es geht darum, dass jedes Instrument an seinem neuen Standort optimal eingesetzt ist. Wo dies nicht der Fall ist oder wo neue Reibungsverluste entstanden sind, müssen wir nachbessern. Auch GIZ und KfW könnten noch stärker zusammenarbeiten.

Autoritär regierte Staaten wie China oder Vietnam haben in den vergangenen Jahrzehnten Armut sehr viel schneller reduziert als Demokratien wie Indien oder Bangladesch. Was ist – bei aller Kritik an Menschenrechtsverletzungen –  an der Regierungsführung Chinas und Vietnams gut?
Viele Schwellenländer haben in den vergangenen Jahrzehnten eine rasante wirtschaftliche Entwicklung erlebt und sind zu wichtigen regionalen und internationalen Wachstumsmotoren geworden. Dies ist aber nur eine Seite der Medaille. In vielen dieser Länder klafft die Schere zwischen Arm und Reich immer weiter auseinander. Auch gravierende ökologische Probleme zählen zu der Kehrseite des Wachstums. Denken Sie zum Beispiel an die fortschreitende Zerstörung des Regenwaldes in Brasilien oder die massive Luftverschmutzung in China.

Welche Bedeutung messen Sie zivilgesellschaftlichem Engagement bei, um Defizite von Staatshandeln sowohl in demokratisch als auch in autoritär regierten Staaten zu korrigieren?
Zivilgesellschaftliches Engagement ist das Fundament jeder Demokratie. Sie kontrolliert staatliches Handeln, sowohl bei uns wie auch in den Partnerländern. In Ländern, in denen wir auf staatlicher Ebene entwicklungspolitisch nicht zusammenarbeiten können oder wollen, erreichen wir die notleidenden Menschen über unsere zivilgesellschaftlichen Partner. Das ist von unschätzbarem Wert! Die Fragen stellte Hans Dembowski.

Gerd Müller ist der Bundesminister für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung. http://www.bmz.de