Entwicklung und
Zusammenarbeit

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Global Governance

„Historisch ungewöhnlich“

Ohne erfolgreiche internationale Zusammenarbeit drohen gewaltige Katastrophen. Dirk Messner, Vorsitzender des Wissenschaftlichen Beirats der Bundesregierung Globale Umweltveränderungen (WBGU), sieht Chancen, diese zu vermeiden.
Die Idee des Völkerrechts entstand im 30-jährigen Krieg: Belagerung Magdeburgs 1631 – bei der anschließenden Zerstörung verloren Zehntausende das Leben. picture-alliance Die Idee des Völkerrechts entstand im 30-jährigen Krieg: Belagerung Magdeburgs 1631 – bei der anschließenden Zerstörung verloren Zehntausende das Leben.

Früher dachten wir, dass Global Governance dadurch entsteht, dass souveräne Staaten multilaterale Verträge mit verbindlichen Regeln für die Weltgemeinschaft aushandeln. Das scheint aber nicht zu funktionieren, oder doch?
Nein, das funktioniert nicht. Vor dem Kopenhagener Klimagipfel von 2009 hat der WBGU als Berater der Bundesregierung Grundbausteine eines fairen globalen Klimaregimes ausgearbeitet. Wir haben einen stimmigen Vorschlag gemacht: Grundsätzlich sollten alle Menschen dasselbe Recht haben, Klimagase auszustoßen – und klar war, dass nur noch begrenzte Emissionen möglich sein würden, um den Temperaturanstieg weltweit auf unter zwei Grad zu begrenzen. Daraus ergab sich ein Emissionsbudget pro Kopf, und unser Modell hätte jedem Land entsprechend seiner Bevölkerungsgröße Emissionsrechte zugeteilt. Handel mit den Rechten wäre möglich gewesen. Das Konzept war praktikabel und gerecht; es ist aber nichts daraus geworden. Die Staatengemeinschaft hat sich in Kopenhagen nicht auf gemeinsame Regeln geeinigt.

Solche Regeln hat 2015 auch der Klimagipfel in Paris nicht geliefert.
Richtig, der Pariser Vertrag legt ehrgeizige Ziele fest, aber nicht, was zu tun ist. Jedes Land kündigt an, was es machen will, und dann wird geschaut, wozu sich das alles addiert und ob es reicht oder ob weitere Zusagen nötig sind.

Leena Srivastava und Arun Kansal schätzen die Erfolgschancen des Pariser Vertrags nur auf unter 66 Prozent, weil er zu unverbindlich sei.
Eine Erfolgschance von fast zwei Dritteln ist besser als gar keine Erfolgschance, was die Einschätzung nach Kopenhagen war. Tatsächlich hat die Klimapolitik zurzeit erstaunlichen Schwung. Der Pariser Vertrag ist in Rekordzeit ratifiziert worden. Die Internationale Energieagentur revidiert Jahr für Jahr ihre Prognosen über das Wachstum der erneuerbaren Energien nach oben. Kürzlich hat sie mitgeteilt, dass seit 2014 erstmals seit der industriellen Revolution mehr als die Hälfte der neu installierten Stromerzeugungskapazität weltweit auf Erneuerbaren beruht hat. Obendrein wurden in den vergangenen Wochen wichtige internationale Abkommen mit dem Ziel geschlossen, Flugverkehrsemissionen zu kompensieren und die Verwendung von Fluorkohlenwasserstoffen zu beenden. Die aktuelle Dynamik gibt also Anlass zur Hoffnung, dass die Pariser Ziele erreicht werden.

Welche Lehren folgen daraus für Global Governance?
Zunächst zeigt es, dass die vielen Klimakonferenzen nicht umsonst waren. Sie haben zwar nicht direkt ein weltumfassendes Klimaregime mit verbindlichen Regeln geschaffen, aber sie haben in einem mäandernden Diskussionsprozess für weltweiten Bewusstseinswandel gesorgt. Und auf dieser Grundlage geschieht nun plötzlich in vielen Ländern, Städten, Unternehmen viel mehr als erwartet. Möglicherweise wird auf Basis dieser Bottom-up-Dynamik das internationale Klimaregime nach und nach verbindlicher werden.

Was waren die Stärken dieses Prozesses?
Das Intergovernmental Panel on Climate Change (IPCC) war aus zwei Gründen wichtig. Erstens hat es wissenschaftlich klar belegt, dass der Klimawandel echt ist und dass er – ungebremst – dramatische Folgen haben wird. Diese globale Wissensordnung hat im Lauf der Zeit die – oft von fossilen Interessen finanzierten – Stimmen, dass der Klimawandel Fiktion sei, verstummen lassen. Zweitens beruht dieses Wissen auf internationaler Kooperation. Es waren Forscher aus der ganzen Welt beteiligt. Gemeinsames Wissen schafft Grundlagen für gemeinsames Handeln. Wichtig war zudem, dass einzelne Länder freiwillig zu Vorreitern wurden: Deutschland, Dänemark und andere, seit etwa fünf Jahren auch China. Sie haben bewiesen, dass man den Energiemix ändern kann, und seither wird die Technik immer besser und billiger. Wir erleben jetzt eine Dynamik, die vor sieben Jahren in Kopenhagen unmöglich schien, und das hat auch der jüngste Klimagipfel in Marrakesch gezeigt.

Gibt es weitere Global-Governane-Erfolge?
Ja, die Millennium Development Goals haben einen positiven Schub bewirkt, den die Sustainable Development Goals hoffentlich fortsetzen werden. Die MDGs waren ein Paradigmenwechsel in der Entwicklungspolitik. Davor galt der Washington Consensus, der auf möglichst freie Märkte setzte. Das Wirtschaftswachstum war der einzige generell akzeptierte Erfolgsmaßstab. Stattdessen geht es nun bei den SDGs um Armutsbekämpfung, Reduzierung der Ungleichheiten, Einhalten planerater Grenzen und eine faire Weltordnung . Wichtig waren – so wie es jetzt auch in der Klimapolitik läuft – nicht feste Regeln, sondern Einverständnis über grundsätzliche Ziele. Nun müssen vielfältige Akteure auf die Umsetzung drängen, national und international. Bemerkenswert ist aber: Mit Ausnahme der Staaten, die von Krieg und Gewalt erschüttert wurden, hat es überall messbare Fortschritte im Kampf gegen die Armut gegeben.

Warum kann Global Governance nicht Krieg verhindern?
Das ist eine komplexe Frage. Die eben genannten Erfolge gehen paradoxerweise einher mit einem Zerfall globaler Sicherheitssysteme. Der Westen und besonders die USA mussten lernen, dass militärische Interventionen ihre Ziele oft verfehlen. Zudem sinkt ihr politischer und wirtschaftlicher Einfluss, und Donald Trump wird das beschleunigen. Der UN-Sicherheitsrat reflektiert die Machtstrukturen des 20., aber nicht des 21. Jahrhunderts. Brandherde wie die Ukraine, Syrien oder Libyen haben damit zu tun, dass Gestaltungsmächte sich wechselseitig blockieren, anstatt gemeinsame Sicherheit zu schaffen.

Sie haben mit Ihrer Kollegin Silke Weinlich ein Buch herausgegeben, das sich mit den Grundlagen der internationalen Kooperation beschäftigt (siehe hierzu auch E+Z/D+C e-Paper 2016/05). Stimmen die Aufsätze Sie optimistisch?
Im Kern geht es darum, dass Kooperation eine sehr lange Geschichte hat und dass immer wieder neue Institutionen erfunden wurden, um sie zu verbessern. Die menschliche Zivilisation, die Entwicklung von Gesellschaften, Städten, Staaten und des gesamten internationalen Systems basieren auf der Kooperationsfähigkeit von Menschen. Biologisch lässt sich Kooperation in 200 000 Jahren Zivilisationsgeschichte neben Mutation und Selektion als drittes Evolutionsprinzip verstehen. Aus einer evolutionären Perspektive kann und wird es auch weitere soziale, institutionelle Innovationen geben, um Weltprobleme zu lösen. Wo Kooperationsstrukturen scheitern, herrscht aber Gewalt und Konflikt.

Danach sieht es heute oft aus.
Das stimmt. Historisch wissen wir, dass Zivilisationsschübe meist auf große Krisen folgten. So entstanden etwa die europäische Integration, die Charta der Menschenrechte und die Vereinten Nationen nach zwei verheerenden Weltkriegen. Die grundlegenden Ideen sind aber viel älter. Hugo Grotius entwickelte im 30-jährigen Krieg die damals revolutionäre Idee des Völkerrechts. Immanuel Kant beschrieb 1795 in seiner Schrift „Zum ewigen Frieden“ die Grundzüge einer regelbasierten Staatengemeinschaft und die Vision einer Weltbürgergesellschaft.

Können wir uns weitere Katastrophen leisten, um daraus dann die nötigen Lehren zu ziehen?
Nein; wir haben nur eine Erde. Wenn wir das globale Klimasystem, die Ozeane oder die weltweit zur Verfügung stehenden landwirtschaftlich nutzbaren Flächen irreversibel zerstören, haben wir verloren. Die internationale Gemeinschaft muss schnell lernen, globale Gemeinschaftsgüter durch globale Kooperation zu sichern. Dabei gibt es drei Herausforderungen:

  • Erstens darf die Weltgemeinschaft den Planeten nicht überstrapazieren, auch wenn sie bis 2050 noch auf neun Milliarden anwächst.
  • Zweitens schwindet die Hegemonie des Westens.
  • Drittens muss die mittlerweile eng vernetzte Weltwirtschaft und -gesellschaft so reguliert werden, dass fairer Interessenausgleich zwischen Nationalstaaten, aber auch in ihnen, gelingt.

Der Erfolg von Donald Trump und anderen Populisten weltweit ist eine Reaktion auf das Unbehagen, das in diesem hochriskanten Szenario entstanden ist. Wir leben in gefährlichen Zeiten.

Sind große globale Krisen noch zu verhindern?
Es ist nicht gesagt, dass es gut geht. Aber es muss auch nicht schief gehen. Resignation hilft nicht weiter, wir müssen versuchen, die drohenden Krisenszenarien zu verhindern, und faire Lösungen finden. Tatsächlich bietet auch in diesem Zusammenhang die Klimapolitik Anlass zur Hoffnung. Die Bedrohung durch den Treibhauseffekt ist recht abstrakt. Klimaforscher verweisen auf gefährliche Trends in den nächsten Jahrzehnten. Im Alltag erleben wir Wetter, nicht Klima. Dass die Weltgemeinschaft tatsächlich begonnen hat, präventiv Klimaschutz zu betreiben, ist historisch ungewöhnlich und vielversprechend. Vielleicht lernen wir gerade, globale Probleme rechtzeitig einzuhegen.

Wer bringt die nötigen Lernprozesse voran?
Wichtig ist jedenfalls internationaler Austausch, um gemeinsames Wissen zu erarbeiten, unterschiedliche Perspektiven wahrzunehmen und faire Lösungen zu finden. Dazu können Politik, Wissenschaft, Wirtschaft und Medien weiter beitragen.


Dirk Messner ist Direktor des Deutschen Instituts für Entwicklungspolitik (DIE) und Vorsitzender des Wissenschaftlichen Beirats der Bundesregierung Globale Umweltveränderungen.
dirk.messner@die-gdi.de

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