Entwicklung und
Zusammenarbeit

Elasticsearch Mini

Elasticsearch Mini

Globale Verantwortung

Geringerer Schutz

Die Weltbank arbeitet derzeit an neuen Umwelt- und Sozialstandards für die ­Kreditvergabe. Leider sind die Regeln im jüngsten Entwurf aber schwächer als das bisherige System.
Boot auf dem Niger in Mali – Staudämme können die Lebensgrundlagen örtlicher Fischer bedrohen. Matthias Graben/Lineair Boot auf dem Niger in Mali – Staudämme können die Lebensgrundlagen örtlicher Fischer bedrohen.

Die Weltbank startete 2012 einen Prozess zur Aktualisierung ihrer Umwelt- und Sozialstandards. Bestehende Regeln sollten mit der doppelten Aufgabe der Institution in Einklang gebracht werden, extreme Armut zu bekämpfen und breiten Wohlstand zu fördern. Begleitet wurde dieser Prozess von öffentlichen Konsultationen, die löblicherweise unterschiedliche Zielgruppen von Regierungen über den Privatsektor bis hin zur Zivilgesellschaft involviert haben.

In der Praxis jedoch wurden Treffen oft zu kurzfristig angesetzt. Zudem behinderte es nichtstaatliche Organisationen in wichtigen Empfängerstaaten, dass wichtige Dokumenten nur auf Englisch vorlagen. Bedacht werden sollte auch, dass die Weltbank jetzt in Konkurrenz zur Asiatischen Infrastruktur-Investitionsbank (AIIB) und anderen neuen Institutionen der Entwicklungsfinanzierung steht (siehe Kasten). Die Beteiligten auf allen Seiten halten Umwelt- und Sozialstandards tendenziell für störend.

Der abschließende Entwurf des neuen „Environmental and Social Framework“ (ESF) soll dem Weltbank-Exekutivdirektorium Mitte 2016 vorgestellt werden. Zwei frühere Entwürfe wurden 2014 und 2015 präsentiert. Bis heute bleiben wesentliche Punkte umstritten.


Begrenzte Reichweite

Ein wesentliches Problem ist die begrenzte Geltung der neuen Standards. Sie beziehen sich wie die bestehenden Schutzregeln nur auf Investitionsprojekte. Projektbezogene Kredite sind jedoch ein schrumpfender Teil des Weltbank-Portfolios. Politikbasierte Darlehen, die in den Staatshaushalt der Empfängerstaaten fließen, werden immer wichtiger und machen bereits ein Drittel bis die Hälfte der Weltbank-Kredite aus. Regierungen erhalten politikbasierte Darlehen nicht für einzelne Vorhaben, sondern für die Umsetzung politischer Strategien.

Da diese Strategien aber oft sensible Bereiche wie Bergbau, Wälder und Landwirtschaft betreffen, können sie weitreichende soziale und ökologische Folgen haben. Wenn die Weltbank nicht inkohärent agieren und ihre Nachhaltigkeitsziele aushöhlen will, muss der ESF auch hierfür gelten.

Die Independent Evaluation Group (IEG) der Weltbank hat 2015 die bestehenden Regeln für politikbasierte Darlehen als unzureichend kritisiert. Sie fand nicht nur, dass die sozialen und ökologischen Risiken kaum berücksichtig werden, sondern auch, dass es kein systematisches Monitoring von Fehlentwicklungen gibt. Dieses Argument blieb bislang folgenlos. Auch früher wurden Empfehlungen der IEG (2011) überhört.

Leider wird offenbar auch das Inspection Panel der Weltbank ignoriert. Ihm zufolge sollten Bankstandards grundsätzlich je nach sozialen und ökologischen Risiken eines Vorhabens angewendet werden und nicht von der Art der Kreditvergabe abhängen. Wenn der neue ESF nicht auch für politikbasierte Darlehen gilt, könnten kontroverse Projekte immer auf diese – weitgehend unkontrollierte – Weise finanziert werden.


Verbesserungsbedarf

Der zweite ESF-Entwurf war in einigen Punkten besser als der erste. Aber auch er bleibt unbefriedigend. Der ESF wird aus einer übergreifenden Richtlinie und zehn Einzelstandards bestehen, die Themen wie Umweltfolgenabschätzung, Zwangsumsiedlungen und indigene Völker betreffen. Der aktuelle Entwurf enthält sinnvolle Ergänzungen. Beispielsweise enthält er bessere Arbeitsnormen. Allerdings monieren Gewerkschaften, dass er noch nicht einmal die vier Kernarbeitsnormen der ILO aufgreift.

Eine weitere willkommene Verbesserung ist das Prinzip der freien, rechtzeitigen und informierten Zustimmung (Free, Prior and Informed Consent). Es schützt indigene Gruppen vor negativen Auswirkungen von Projekten, die sie unmittelbar betreffen. Wenn jedoch ein Staat indigene Völker auf seinem Territorium nicht anerkennt, gibt es Ausnahmeregeln, sodass Bedenken beiseitegeschoben werden können.

Nach dem jüngsten Entwurf steht zwangsumgesiedelten Menschen Entschädigung zu, selbst wenn ihnen Land nicht formal gehörte. Menschen, die aus anderen Gründen ihre Lebensgrundlage verlieren, bleiben aber ungeschützt. So gehen etwa Fischer, deren Fischgründe durch den Bau eines Staudammes zerstört werden, leer aus.

Die bestehenden Schutzregeln verbieten der Weltbank die Finanzierung von Projekten, die Lebensräume bedrohter Arten in Wäldern und anderen Ökosystemen zerstören.

Der Biodiversitätsstandard im neuen Entwurf verwässert diese Vorgabe. Künftig soll die Bank Projekte in solchen Gegenden unterstützen dürfen, wenn es in der Region keinen alternativen Standort gibt und einige weitere Bedingungen erfüllt sind.

Die bestehenden Regeln zur Umweltverträglichkeitsprüfung sollen ähnlich verwässert werden. Bisher müssen Prüfungsergebnisse in Landessprachen übersetzt werden, bevor die Weltbank über die Kreditvergabe entscheidet. Gewöhnlich gilt ein Zeitraum von 120 Tagen, in denen die örtliche Zivilgesellschaft Einwände geltend machen kann. Der aktuelle Entwurf verzichtet auf diese Vorschrift.

Alles in allem enthält der ESF-Entwurf zu viele Schlupflöcher und vage Formulierungen. Es ist beispielsweise unakzeptabel, dass Auflagen nur erfüllt werden müssen, wenn das „finanziell und technisch machbar“ ist.


„Menschenrechtsfreie Zone“

Es darf nicht vergessen werden, dass die Implementierung bestehender Standards sich in der Praxis als zu schwach erwiesen hat. Menschenrechtsverletzungen sind im Kontext von Weltbankkrediten immer wieder vorgefallen. Dennoch besagt der aktuelle ESF-Entwurf nur vage, er teile „die Bestrebungen“ der Allgemeinen Erklärung der Menschenrechte. Deshalb bezeichnet Philip Alston, der UN-Sonderberichterstatter für extreme Armut und Menschenrechte, die Weltbank als eine großenteils „menschenrechtsfreie Zone“. Seine Forderung nach einem stärkeren Bekenntnis zu den Menschenrechten unterstützen Deutschland und andere europäische Länder sowie der US-Kongress.

Das ist umso wichtiger, als der ESF-Entwurf Empfängerländern erlaubt, statt Weltbankregeln ihre eigenen Systeme anzuwenden – sofern diese grundsätzlich damit übereinstimmen. Unklar bleibt, wie diese Übereinstimmung gemessen wird. Auch verrät der Entwurf nicht, was zu tun ist, wenn eine Regierung ihr eigenes Recht nicht einhält – was leider allzu oft vorkommt.

Das Verlassen auf die Systeme der Empfängerländer soll die Eigenverantwortung („Ownership“) fördern. Dabei dürfen aber allgemein gültige und verbindliche Standards unterschritten werden. Tendenziell sehen viele Kreditnehmerländer die Berücksichtigung von Menschenrechten als Eingriff in ihre inneren Angelegenheiten an. Aus ihrer Sicht behindern Umwelt- und Sozialnormen schnelles Wachstum.

Vinod Thomas (2015), der Leiter der Evaluierungsabteilung der Asiatischen Entwicklungsbank und früherer Vorsitzender der IEG, urteilt, nur wenige Ländersysteme entsprächen den Weltbankstandards. Die Anwendung der Ländersysteme bedeutet Gefahr für Mensch und Umwelt.

Selbsterklärtes Ziel der Weltbank ist es, extreme Armut zu bekämpfen und breiten Wohlstand zu fördern. Dazu braucht die Bank starke und verbindliche Umwelt- und Sozialstandards, die alle von ihr unterstützten Aktivitäten abdecken. Ökologische und soziale Bedenken zu missachten, um den Abfluss von Finanzmitteln zu beschleunigen, ist kontraproduktiv. So kann die Bank nur extreme Armut verschlimmern, Ungleichheit vertiefen und die Umwelt massiv schädigen.


Korinna Horta ist wissenschaftliche Mitarbeiterin bei der Umwelt- und Menschenrechtsorganisation Urgewald.
korinna.horta@gmail.com


Links:
Alston, P., 2015: Report to the UN General Assembly. August 4.
http://www.un.org/en/ga/search/view_doc.asp?symbol=A/70/274
IEG (Independent Evaluation Group), 2015: Managing environmental and social risk in development program finance. Washington: World Bank.
https://ieg.worldbankgroup.org/Data/reports/Managing_ES_Risks_in_DPF.Sept18.2015.pdf
IEG, 2011: Evaluative directions for the World Bank Group’s safeguard and sustainability policies. Washington: World Bank.
https://consultations.worldbank.org/Data/hub/files/consultation-template/review-and-update-world-bank-safeguard-policies/en/related/636830pub00wb000box0361524b0public0.pdf
Inspection Panel, 2015: Comments on the second draft of the proposed environmental and social framework. Washington: World Bank.
http://ewebapps.worldbank.org/apps/ip/Style%20Library/Documents/Inspection%20Panel%20Comments%20on%202nd%20Draft%20ESF%20-%2017%20June%202015.pdf
Thomas, V., und de Ferranti, D., 2015: Time to bolster safeguards, not dilute them.
http://blogs.ft.com/beyond-brics/author/vinodthomasanddaviddeferranti/

Governance

Um die UN-Ziele für nachhaltige Entwicklung zu erreichen, ist gute Regierungsführung nötig – von der lokalen bis zur globalen Ebene.