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Global Governance

Erfrischender Optimismus

Ein neuer Bericht einer Weltkommission sieht die Klimakrise als Business Opportunity. Die Studie argumentiert ökonomisch stringent und zeigt eine globale Wachstumsperspektive auf. Manche wichtige Fragen lässt sie allerdings noch unbeantwortet.
Oktoberfest in München: Wohlhabende OECD-Städte mittlerer Größe haben Wachstum und Energieverbrauch schon entkoppelt. Dembowski Oktoberfest in München: Wohlhabende OECD-Städte mittlerer Größe haben Wachstum und Energieverbrauch schon entkoppelt.

Seit dem Gipfel in Kopenhagen 2009 ist Klimaschutz zunehmend als ökonomische Herausforderung thematisiert worden. Die alte Leitfrage war: „Welche Staaten müssen wann ihre Emissionen wie stark reduzieren?“ Die neue lautet: „Wie kann die Transformation zur Klimaverträglichkeit der Weltwirtschaft und nationaler Ökonomien gelingen?“ Dazu sind mehrere umfassende Reports erschienen (siehe Hintergrundbox).

Zuletzt wurde im Herbst „The new climate economy“ von der Global Commis­sion on the Economy and Climate veröffentlicht. Ihre Vorsitzenden sind der ehemalige mexikanische Präsident Felipe Calderón und der ehemalige Chefökonom der Weltbank Nick Stern, einberufen wurde sie von den UN. Das Dokument bestätigt wichtigste Kernelemente bereits vorliegender Low-Carbon-Reports. Es bildet sich also mittlerweile ein wissenschaftlich robuster Konsens heraus, der folgende Punkte einschließt:

  • Der Klimawandel ist noch auf einen durchschnittlichen weltweiten Temperatur­anstieg um zwei Grad begrenzbar. Dazu muss aber die Weltwirtschaft in der zweiten Hälfte dieses Jahrhunderts nahezu vollständig dekarbonisiert werden. Dies erfordert wichtige Weichenstellungen in den kommenden zehn bis 15 Jahren. Laut Wissenschaftlichem Beirat der Bundesregierung Globale Umweltveränderungen sollten Null-Emissionen bis etwa 2070 erreicht werden. Es muss also schnell gehandelt werden.
  • Vier Ansatzpunkte sind für die nötige Transformation wesentlich. Erstens muss der Ausstoß von Klimagasen durch Steuern oder Emissionshandel mit einem Preis belegt werden, damit sich umweltfreundliches Handeln auch ökonomisch auszahlt. Zweitens muss in Forschung und Entwicklung investiert werden, um Innovations­dynamiken voranzutreiben. Drittens ist internationale Kooperation einschließlich eines wirkungsvollen Klimaabkommens nötig. Viertens muss der gesamte Instrumentenkasten der Wirtschafts-, Infrastruktur-, Energie- und Innovationspolitik den Zielen Nachhaltigkeit und Klimaschutz dienen.
  • Transformation ist vor allem in drei Sektoren entscheidend: Energieversorgung, Stadtentwicklung und Landnutzung. Alle drei Bereiche brauchen mehr Effizienz, neue Infrastrukturen und Innovationen.

Was Energie und Landnutzung angeht, bietet der Calderón-Stern-Bericht kaum Neues, das über die bisher vorliegenden Reports hinausginge. Er präsentiert aber interessante Zahlen zu urbanen Räumen: So tragen bislang nur etwa 150 Städte rund die Hälfte zur globalen Wirtschaftsleis­tung, aber auch die Hälfte zu den weltweiten energiebezogenen Emissionen bei. In den nächsten 20 Jahren werden zudem etwa 290 schnell wachsende Städte in Asien rund ein Drittel der erwarteten zusätzlichen Emissionen ausstoßen. Die Stadtplanung muss dort von vornherein auf Dekarbonisierung ausgerichtet werden.

Den Daten zufolge werden 33 Mega­städte in den nächsten 20 Jahren etwa zehn Prozent der zusätzlichen Treibhausgase emittieren. Glücklicherweise beginnt sich in ihnen aber das Wirtschaftswachstum schon vom Energieverbrauch abzukoppeln, wie die Calderón-Kommission berichtet. Dass dies möglich ist, belegen „Mittelstädte“ wie München, Stockholm oder Hiroshima in OECD-Ländern. Diese Wohlstandszentren zeichnen sich allerdings heute auch durch besonders hohe Emissionen (im Schnitt 12 Tonnen pro Kopf und Jahr) aus. Angesichts der starken Institutionen und der hohen ökonomischen Leistungsfähigkeit solcher Städte dürften sich dort Low-Carbon-Strategien indessen auch als besonders effektiv erweisen.


Besondere Akzente

Drei grundsätzliche Punkte des CalderónStern-Berichts sind wichtig:

  • Sein zentrales Kapitel beschäftigt sich mit den „Economics of Change“. Detaillierter, prägnanter und systematischer als frühere Reports führt er aus, dass die Klimafolgen sämtlicher ökonomischen und politischen Entscheidungen überprüft werden müssen. Im Kern heißt das: Klima- und Ressourcenschutz sind keine zusätzliche Aufgabe der Wirtschaftspolitik, sie gehören in ihr Zentrum – wie Beschäftigung und Wettbewerbsfähigkeit. Anders kann der Wandel zur „Green Economy“ nicht gelingen. Das betrifft in besonderem Maße Schwellen- und Entwicklungsländer, in denen heute Strukturen geschaffen werden, mit denen dann jahrzehntelang gewirtschaftet wird. Der Report zeigt vielfältige Möglichkeiten auf. Die Autoren setzen sich zugleich klar von Wachstumskritik ab und fordern einen „Framework for Growth“.
  • Die Calderón-Stern-Kommission betrachtet nicht nur die nationale Ebene, sondern untersucht auch, wie sich die Global Economic Governance ändern muss. Relevante Fragen sind: Wie muss eine klimaverträgliche Weltfinanzordnung aussehen? Wie passt der Flickenteppich von Emissionshandelssystemen zum globalisierten Welthandel? Wie muss die WTO Streitfragen über Öko-Produkte und umweltfreundliche Technik entscheiden? Eine umfassende Antwort auf diese Fragen bietet der Bericht noch nicht, er zeigt aber auf, welche Themen anstehen.
  • Im Gegensatz zu früheren Reports betont das neue Dokument weniger die Gefahren der Klimakrise, sondern diskutiert sie als „Business Opportunity“. Der Übergang zur Klimaverträglichkeit wird für die lahmende Weltwirtschaft als die Wachstumsoption schlechthin skizziert. Das ist optimistisch und provokant. Es widerspricht jedenfalls Einschätzungen, denen zufolge die globale Finanzkrise 2008 Staatshandeln und Investorenzuversicht so deutlich Grenzen gesetzt hat, dass der ökologische Wandel erschwert wird.

Geradezu vorbildlich ist die Website, die den Bericht der Calderón-Stern-Kommission unterstützt (www.newclimateeconomy.report). Keiner der früheren Reports wurde auf vergleichbare Weise im Internet begleitet. Die digitale Plattform hat sicherlich erheblichen Aufwand erfordert, der aber gerechtfertigt ist, um Wissen zu vermitteln, Meinung zu bilden und die internationale Agenda zu beeinflussen.

Da der Report also breites Echo finden dürfte, ist es sinnvoll, auch auf seine Schwächen hinzuweisen:

  • Er konzentriert sich zu sehr auf Win-win-Optionen. Es ist wichtig, diese zu kennen und zu benennen, das reicht aber nicht, um der Komplexität der Aufgabe gerecht zu werden. Wer Transformation will, muss in Reformkonzepten auch mögliche Blockaden erkennen – und Strategien vorschlagen, um diese zu überwinden. Umfassender gesellschaftlicher Wandel erzeugt Widerstände, aber das blendet die Calderón-Stern-Kommission weitgehend aus.
  • Die Low-Carbon-Transformation bietet viele wirtschaftliche Chancen. Es gibt aber auch Spannungen, weil viele Ini­tiativen zwar mittel- und langfristig sinnvoll sind und auch Kosten senken, kurzfristig aber zunächst teuer sind oder institutionell sehr anspruchsvoll. Das gilt zum Beispiel für die Einführung von Emissionshandelssystemen, Energieeffizienzstrategien, Elektromobilität oder Low-Carbon-Standards für Gebäude. Weil hohe „upfront-Investments“ notwendig sind, erscheinen „Business as usual“-Strategien kurzfristig günstiger. Was bedeuten die entsprechenden Handlungsbarrieren für verschiedene Ländertypen? Oder für die Entwicklungsfinanzierung? Und in welchem Maße sollen andere Aufgaben zurückgestellt werden? Auf diese Fragen gibt der Report keine Antwort.
  • Der Report arbeitet exzellent heraus, wie die Wirtschafts-, Innovations- und Fiskalpolitik künftig gestaltet werden muss, um Nachhaltigkeit zu gewährleisten. Er erläutert aber nicht, wie wir von den etablierten Mustern zur neuen Politik gelangen können. Im Übergang wird es Policy-Hybride geben. Der innenpolitische Streit über die Energiewende in Deutschland ist dafür ein Beispiel. Andere Länder ringen mit ähnlichen Problemen. Wie lassen sich Klimaverträglichkeit, soziale Inklusion und ökonomische Dynamik verzahnen? Damit der Wandel gelingt, müssen Reformen aber so verzahnt werden, dass Vorteile schnell zu spüren sind und Nachteile möglichst lange aufgeschoben werden.


Fazit

Der Report der Calderón-Stern-Kommis­sion ist wertvoll, weil er ökonomisch stringent argumentiert und Wirtschaftspolitiker wie Firmenmanager ansprechen wird. Positiverweise zeigt er Wachstums- und Entwicklungsperspektiven insbesondere für Entwicklungs- und Schwellenländer auf. Er lässt keinen Zweifel daran, dass Handeln nicht nur nötig ist, sondern auch Erfolg verspricht.

Der Optimismus des Reports beruht allerdings zum Teil auch darauf, dass er wichtige Fragen ausblendet. Er unterschlägt den objektiven Zeitdruck und er geht nicht darauf ein, wie unvermeidbare Widerstände überwunden werden können. Es fehlen auch Vorschläge, wie sich langfristige gegen kurzfristige Kalküle durchsetzen sollen.

Der Erfolg der Transformation hängt aber davon ab, dass Maßnahmen auf ganz unterschiedlichen Politikfelder so ergriffen werden, dass sie sich wechselseitig unterstützen und Blockadekräfte überwinden.

Letztlich bleibt der Report dem klassischen Wachstumsparadigma treu. Er lässt sich nicht auf die weltweiten Diskussionen über neue Wohlfahrtskonzepte ein, sondern stellt nur fest, dass Wachstum „grün“ werden muss. Damit bleibt er hinter den interessanten „Well-being-Konzepten“ der OECD zum Beispiel zurück.
 

Dirk Messner ist Direktor des Deutschen Instituts für Entwicklungspolitik und Co-Vorsitzender des Wissenschaftlichen Beirats der Bundesregierung Globale Umweltveränderungen (WGBU).
dirk.messner@die-gdi.de

Link:
The Global Commission on the Economy and Climate, 2014:
The new climate economy.
http://www.newclimateeconomy.report

Governance

Um die UN-Ziele für nachhaltige Entwicklung zu erreichen, ist gute Regierungsführung nötig – von der lokalen bis zur globalen Ebene.