Dezentralisierung

Die Geber müssen wach bleiben

Die Dezentralisierungspolitik hat in Benin die Kommunen gestärkt. Der Fortschritt ist offensichtlich, aber es bleibt noch viel zu tun. Wenn die Bevölkerung nicht versteht, dass Demokratie an der Basis beginnt, kann das neue System nicht richtig funktionieren. Die Zivilgesellschaft muss die Bürgermeister und Gemeinderäte zur Verantwortung ziehen.
„Dort, wo die Bürgermeister und der Gemeinderat ihren Pflichten gerecht werden, ist die ländliche Verkehrsinfrastruktur in einem guten Zustand“:  Dörflicher Straßenbau im Jahr 2006. Jorgen Schytte/Lineair „Dort, wo die Bürgermeister und der Gemeinderat ihren Pflichten gerecht werden, ist die ländliche Verkehrsinfrastruktur in einem guten Zustand“: Dörflicher Straßenbau im Jahr 2006.

Jahrzehntelang beklagten Benins kommunale Amtsträger die übermäßige Zentralisierung von Staat und Politik. Die starke Zentralregierung war das  Erbe der französischen Kolonialherrschaft, und daran änderte auch die marxistische Militärdiktatur in den 1970er bis 1980er Jahren nichts. In einigen Regionen wollten die Menschen sich aus Frustration über Ineffizienz und Korruption der Regierung sogar von Benin lossagen.

Im Februar 1990 wurde die historische Nationalkonferenz abgehalten und die Demokratie eingeführt. Ein vorrangiges Ziel war die Konzipierung und Umsetzung dessen, was heute Politique Nationale de Décentralisation et de Déconcentration (PONADEC – Politik für Dezentralisierung und Entflechtung) heißt. Allerdings bedurfte dieses Vorhaben finanzieller Unterstützung und wurde erst vom Jahr 2000 an umgesetzt. Wichtige Rollen spielten die deutsche GTZ (heute GIZ) und die Weltbank.

PONADEC sah die Übertragung vieler administrativer Befugnisse von der Hauptstadt auf die Kommunen vor. 77 Gemeinden sollten in Zukunft ihre Angelegenheiten selbstständig regeln, Steuern erheben und das Geld für Dinge einsetzen, die die Lebensbedingungen armer Menschen und die Situation der Bürger generell verbessern. Die Verantwortung in den Gemeinden sollten gewählte Bürgermeister und Gemeinderäte anstatt von der Zentralregierung benannter Bürokraten übernehmen.


Basisdemokratie

In den Jahren 2003 und 2008 fanden  Kommunalwahlen erfolgreich statt. Für dieses Jahr sind die nächsten geplant. Nach zehn Jahren demokratisch verfasster Kommunalpolitik wird deutlich, dass sich in den Kommunen etwas ändert. Dort, wo Bürgermeister und Gemeinderäte ihren Pflichten gerecht werden, ist die ländliche Verkehrsinfrastruktur in einem guten Zustand. Wo das nicht der Fall ist, sind die unbefestigten Straßen voller Schlaglöcher.

Bei den Wahlen im Jahre 2008 stellten Beobachter fest, dass viele Lokalpolitiker wiedergewählt wurden, obwohl sie sich als unverantwortlich erwiesen hatten. Einige fragen sich, ob das wieder geschehen wird. Es scheint, dass viele Menschen demokratische Verantwortung nicht verstehen und sich von der Rhetorik der nationalen Politik beeindrucken lassen. Leider kommt es auch auf Stammeszugehörigkeit an. Solange die Bevölkerung nicht begreift, was die Lokalpolitiker in den Kommunen Benins bewirken können, wird Basisdemokratie  nicht richtig funktionieren. Da die gut regierten Kommunen immer erfolgreichere lokale Märkte und immer besser verwaltete Grundbücher haben, ist zu hoffen, dass auch immer mehr Menschen die Zusammenhänge begreifen.

Heute finanzieren sich die kommunalen Behörden durch die Grundsteuer und andere Abgaben und sind zudem auf Mittel des nationalen Finanzausgleiches angewiesen. Dieser beruht auf Geld aus dem Staatshaushalt und Gebermitteln. Die finanzielle Lage der Kommunen hat sich enorm  verbessert. Schätzungen zufolge sind kommunale Haushalte zehn Mal größer als zu Beginn der Reformen. Ein erheblicher Anteil des Geldes wird von den Gebern beigesteuert. Zum Beispiel berichtet die Weltbank auf ihrer Homepage, dass sie Benin im Jahr 2004/2005 etwa 50 Millionen Dollar lieh. Damit sollte der armen Bevölkerung Zugang zu grundlegenden Dienstleistungen wie Gesundheit, Wasser und Bildung verschafft und die lokale Infrastruktur samt Straßen und Märkten verbessert werden. Das multilaterale Institut lobt in diesem Zusammenhang Benins Konzept der von der Lokalpolitik geleiteten Entwicklung.

Die Weltbank-Website deutet darüber hinaus an, die Bank werde Benins neue Sozialpolitik unterstützen. Die Zentralregierung will eine Grundsicherung für arme Menschen einführen, die einen direkten Geldtransfers an die arme Bevölkerung sowie Arbeitsbeschaffungsprogramme in der Trockenzeit vorsieht. Es geht darum, die Einkommen armer Haushalte zu verbessern, um Notsituationen zu vermeiden, in denen sich die Menschen gezwungen sehen, lebensnotwendige Besitztümer zu verkaufen oder ihre Kinder zur Arbeit statt in die Schule zu schicken. Die Grundsicherung soll auf der Gemeindeebene verwaltet und zunächst in einigen Dörfern getestet werden.


Nichts im Leben ist perfekt

Wie es aussieht, bewegen sich die Dinge in Benin in die richtige Richtung. Aber nichts im Leben ist perfekt. Ein europäischer Entwicklungsexperte, der mit PONADEC vertraut ist, sagt, er sehe viel versprechende Trends, aber auch Blockaden. Seiner Meinung nach unterstützen manche nationalen Ministerien die  demokratisch legitimierten Lokalverwaltungen nicht ausreichend. In den regionalen Départements verhielten sich die Beamten weiterhin Ministern gegenüber unterwürfig, beachteten aber die Arbeit von Bürgermeistern und Gemeinderäten kaum. Es habe mehrere Fälle gegeben, in denen verbotenerweise Geld zurückbehalten wurde, das Kommunen zustand.

Der Experte betont, dass den demokratisch gewählten Lokalpolitikern die nötige zentralstaatliche Unterstützung zusteht. Er bedauert, dass Ministerialbeamte dazu neigen, dieses wichtige Gebot der Dezentralisierung zu übersehen, weil die Staatsdiener allzu fest an alten Gewohnheiten hängen. Als weiteres Problem benennt der Experte die Wasser- und Stromversorgung. Diese wird  von nationalen Unternehmen betrieben, die als ineffizient und korrupt gelten. Die Lokalpolitiker sind allerdings von ihnen abhängig, wenn sie die Wasser- und Stromversorgung ihrer Gemeinden verbessern wollen. Außerdem gebe es noch zu viele Anreize für Bürgermeister in der Hauptstadt in der nationalen Politik mitzumischen, anstatt sich ganz den Bedürfnissen ihrer Bürger zu widmen.

Theoretisch sind die neuen Staatsstrukturen sinnvoll, meint der europäische Experte, aber sie müssen noch mit Leben gefüllt werden. Er meint, die Kultur von Klientelismus und Vetternschaft sei noch recht stark. Eine wirklich demokratische Kultur entstehe erst allmählich. Seiner Meinung nach besteht die Gefahr, dass kommunale Selbstverwaltung in Benin zu einer leeren Floskel wird.

Zweifellos hat PONADEC in Benin Veränderungen bewirkt. Kommunale Instanzen sind heute besser als je zuvor in der Lage, ihre Angelegenheiten den Bedürfnissen und Anforderungen der Bevölkerung  entsprechend selbst zu regeln. Allerdings müssen bi- und multilaterale Geber ein Auge darauf behalten, was im Land geschieht. Sie müssen verhindern, dass die Zentralregierung die aufkeimende Souveränität der Kommunen stört oder gar versucht, aufgegebene Zuständigkeiten zurückzuerlangen. Weil Benin von Gebergeld abhängt, hat die internationale Gemeinschaft erheblichen Einfluss im Land.

 

Karim Okanla ist Dozent für Medien­wissenschaften, Kommunikation und Internationale Beziehungen an der Houdegbe North American University in Cotonou, der größten Stadt Benins.
karimokanla@yahoo.com

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