Global Governance

Klimaflüchtlinge

Im 21. Jahrhundert könnte die globale Durchschnittstemperatur um bis zu vier Grad Celsius steigen. Die Folge werden Überflutungen und andere Naturkatastrophen sein, die laut den Vorhersagen des UN-Entwicklungsprogramms (UNDP) bis zu 330 Millionen Menschen aus ihrer Heimat vertreiben werden. Bislang besteht kaum internationaler Rechtsschutz für Menschen, die wegen Naturkatastrophen migrieren.
Arme Menschen sind am verwundbarsten: ein Slum in Santo Domingo nach Hurrican Sandy im Oktober 2012. picture-alliance/dpa Arme Menschen sind am verwundbarsten: ein Slum in Santo Domingo nach Hurrican Sandy im Oktober 2012.

„In den meisten Fragen gibt es keinen Konsens“, sagt Walter Kälin von der Nansen-Initiative, einer 2012 gegründeten norwegisch-schweizerischen Organisation. Ihr Ziel ist es, den internationalen Dialog über kohärente und konsistente Verfahren zum Schutz der Menschen in Gang zu bringen, die der Treibhauseffekt um ihre Heimat bringt.  

Kälin betont, dass für unterschiedliche Flüchtlinge unterschiedliche Bestimmungen gelten. Wer seinen Nationalstaat verlässt, werde zwar von den  Menschenrechten geschützt, das Flüchtlingsrecht greife jedoch kaum. Zum Schutz von Binnenflüchtlingen existieren dagegen die UN-Leitlinien zum Schutz von Binnenvertriebenen sowie die Konvention der Afrikanischen Union zu der Verhütung von Binnenvertreibung sowie Schutz und Hilfe für Betroffene.  

Bislang, sagt Koko Warner vom Bonner Institut für Umwelt und menschliche Sicherheit der UN-Universität, sei Klimamigration vor allem Binnenmigration. Naturkatastrophen würden in Zukunft aber auch zunehmend grenzüberschreitende Wanderungsbewegungen auslösen.

Laut Koko Warner stellen sich die meisten Menschen bezüglich der globalen Erwärmung die Fragen: „Wie betrifft uns das? Und wie können wir uns darauf einstellen?“ Haushalte mit Geld, sozialem Ansehen und Schutz verschiedener Institutionen seien relativ unbedroht, sagt die Expertin. Sie können Migration planen, falls das nötig wird. Für ärmere Menschen ist Abwanderung dagegen tendenziell eine der letzten Optionen, denn ihre Lebensgrundlage hängt von ihrem unmittelbaren Umfeld ab. Warner betont, dass diese Menschen am gefährdetsten sind, aber mit geringster Wahrscheinlichkeit wohl organisiert und gut geplant migrieren werden.

Ein wichtiger Streitpunkt in der Debatte bleibt, ob der Klimawandel wirklich die Migrationsursache ist. Schleichende Katastrophen wie der Anstieg des Meeresspiegels, der kleine Inseln und tief liegende Küstengebiete bedroht, lassen sich kausal recht leicht auf den Klimawandel zurückführen. Für plötzliche Katastrophen, wie etwa Hurrikan Sandy, der im Oktober über die Karibik und die Nordostküste der USA hinwegfegte, gilt das nicht im selben Maße.

Seit 2008 wächst aber der Konsens ­darüber, dass der Klimawandel sowohl plötzliche als auch schleichende Desaster verursacht, wie José Riera vom Flüchtlingshilfswerk der Vereinten Nationen (UNHCR) ausführt. Ihm zufolge verschärft der Klimawandel bestehende Risiken: „Die Jahreszeiten und Niederschläge werden weniger vorhersehbar – mit Folgen für Ernährungssicherheit und Mobilität.“

Bei einer Tagung der Deutschen Gesellschaft für die Vereinten Nationen in Berlin im Januar empfahl José Riera, präventiv Antworten auf relevante Fragen zu finden: „Wie sollen sich Staaten auf Migration – und besonders Binnenmigration – einstellen? Wie können wir, wenn Menschen migrieren müssen, sicherstellen, dass ihre Menschenrechte respektiert werden?“ Er meint, die große Herausforderung sei es zu verhindern, „dass die verwundbarsten Menschen Opfer der Umstände werden“.

Ein mulitlaterales Abkommen darüber ist nicht in Sicht. „In naher Zukunft“ hält Annette Windmeisser vom Bundesministerium für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung das für „illusorisch“. Sie betont aber die Relevanz nationaler und regionaler Ansätze samt Dingen wie Versicherungsschutz, Frühwarnsysteme oder präventiven Deichbau.

Ein zivilgesellschaftliches Bündnis in Deutschland erkennt in einer aktuellen Veröffentlichung an, dass es schwierig sei, angemessene Begriffe zu definieren und die Abkommen zu formulieren, die nötig sind, um die Herausforderungen der Klimaflucht anzugehen. Es betont aber, dass dies die Lösungssuche nicht aufschieben dürfe. Unter anderem fordert es Regierungen auf, Migrationsangelegenheiten liberaler zu behandeln als bisher.

Ellen Thalman

Link:
Amnesty International Deutschland, Brot für die Welt, Deutsche Gesellschaft für die Vereinten Nationen (DGVN), Germanwatch, medico international, Oxfam Deutschland, Pro Asyl: Auf der Flucht vor dem Klima (Fleeing the climate, only in German)
http://germanwatch.org/de/6245