Gesunde Ernährung

Biolandwirtschaft muss für Bauern günstiger werden

Das globale Ernährungssystem schadet der Umwelt und verschärft die Armut in ländlichen Gebieten von Schwellen- und Entwicklungsländern. Es sollte komplett umgestellt werden, erklärt die renommierte indische Umweltschützerin Sunita Narain im Interview mit E+Z/D+C.
Eine Frau füttert in einem Dorf im südindischen Bundesstaat Andhra Pradesh Büffel, die für die naturnahe Landwirtschaft sehr wichtig sind. picture-alliance/ASSOCIATED PRESS/Altaf Qadri Eine Frau füttert in einem Dorf im südindischen Bundesstaat Andhra Pradesh Büffel, die für die naturnahe Landwirtschaft sehr wichtig sind.

Was müssen wir tun, damit weltweit alle Menschen genügend hochwertige Nahrungsmittel bekommen?

Für Schwellen- und Entwicklungsländer sind drei Punkte entscheidend:

  • Wir benötigen ein Agrarsystem, das gut für die Bauern ist und ihnen langfristig ein Auskommen bietet.
  • Das System muss auf lokaler Ebene den Böden und der Umwelt guttun.
  • Es muss gute Nahrung liefern und sicherstellen, dass sich alle Menschen gesund ernähren können.

Bitte erläutern Sie das.

Das derzeitige System benachteiligt die Bauern. In Indien bekommen sie sehr wenig für ihre Ware, die Masse bleibt daher arm. Inflation von Lebensmittelpreisen ist ein heißes Thema in Indien, daher will die Regierung die Preise drücken und importiert billige Lebensmittel. Somit steigen die Preise für die Erzeuger nicht, und die Bauern stehen noch schlechter da. Zugleich leiden die Landwirte unter mehr und schlimmeren Extremwetterereignissen. Einige erleben drastische Ernteeinbußen. Wenn wegen dürftiger Ernten die Preise steigen, werden noch mehr billige Lebensmittel importiert. Diese Verzerrung ist möglich, weil das Welthandelssystem gestattet, dass Indien von anderen Regierungen subventionierte Agrarrohstoffe einführt. Das System belohnt industrielle Landwirtschaft und bringt Kleinbauern in Not. Die industrielle Landwirtschaft schadet aber dem Klima und verschärft Extremwetterrisiken.

Was muss geschehen?

Wir müssen das globale Agrarsystem umkrempeln. Es muss weniger inputintensiv, lukrativer und risikoärmer für die Bauern werden. Das vermeintlich moderne Agrarsystem in Europa, Nordamerika und anderswo ist schlicht nicht nachhaltig. Es schadet dem Klima und der Artenvielfalt. Indien ist da noch nicht. Die EU-Subventionen sind furchtbar, sie haben die Bauern von staatlichen Beihilfen abhängig gemacht. Aber nur Großbetriebe werden genug bezuschusst, um zu florieren. Selbst in Europa werden Kleinbetriebe verdrängt. Als die EU beschloss, das System ökologischer zu machen, protestierten die Bauern, weil das weniger Geld für sie bedeuten würde. Die Reformen waren halbherzig, und jetzt haben Ihre Politiker sie noch weiter ausgebremst.

Inwiefern waren die Reformen halbherzig?

Nehmen wir den Biosektor. Die EU-Politik hat einen Nischenmarkt für wohlhabende Verbraucher geschaffen. Haushalte mit geringen Einkommen können sich diese Waren nicht leisten. Aber auch für die Landwirte ist Bioerzeugung teurer. Teils wird das durch zusätzliche Subventionen gedeckt, aber Bioanbau ist immer noch aufwendiger und teurer. Pestizide sind günstig, verglichen mit Unkrautjäten. Insgesamt ist das Subventionssystem immer noch darauf ausgerichtet, mit viel Input auf großen Flächen Erträge zu maximieren. Davon profitieren die agrochemische Industrie und multinationale Lebensmittelkonzerne, die gleichförmige Waren mögen.

Wir brauchen also eine regenerative Landwirtschaft.

Ja, allerdings nutzen multinationale Konzerne solche Begriffe immer wieder für sich. Sie verändern ihre destruktiven Muster leicht und bezeichnen sie dann als regenerativ. Das globale Ernährungssystem ist unglaublich zerstörerisch. Es verschärft die globale Umweltkrise und die Armut in den ländlichen Gegenden von Schwellen- und Entwicklungsländern, weil dortige Agrarbetriebe wegen der stark subventionierten Produkte aus reicheren Ländern nicht mehr wettbewerbsfähig sind.

Wer kann das ändern?

Wandel findet dort statt, wo Bauern die Vorteile anderer Ansätze erkennen und nachhaltigere Praktiken anwenden.

Meinem Eindruck nach tun das vor allem Subsistenzbetriebe. Sie sind sehr diversifiziert, aber die Familien können kaum genug für den Verkauf produzieren – und bleiben arm.

Das sehe ich anders. Ich denke etwa an das Programm Andhra Pradesh Community Managed Natural Farming. Andhra Pradesh ist ein Bundesstaat in Südindien, das Programm ist wissenschaftlich fundiert. Es zielt darauf, in die Bodenkapazität zu investieren, um Agrarbetriebe produktiver zu machen – mit exzellenten Ergebnissen. Die Betriebe sind gleich produktiv, aber die Landwirte erhalten mehr dafür. Solche Projekte bräuchte es vielerorts. Ökoansätze müssen für Bauern günstiger werden und ihnen ermöglichen, mehr zu verdienen.

Was würde das für das Konsumverhalten bedeuten?

Es mag Sie überraschen, aber als indische Umweltschützerin verfechte ich Vegetarismus oder Veganismus nicht. Beides ist in unserem Land mit einer langen Tradition des Vegetarismus beliebt. Aber die Bauern müssen von etwas leben. Kühe sind in Indien sehr wichtig. Die Bauern brauchen die Milch, den Dung und das Fleisch. Indien ist der größte Milchproduzent der Welt, aber wir haben keine riesigen Höfe. Meist haben Familien ein oder zwei, höchstens zehn Kühe, ohne die sie noch ärmer wären. Sie hätten nichts davon, wenn alle in Indien vegetarisch lebten.

International sieht es aber ziemlich anders aus.

Das stimmt. Die globale Fleischproduktion ist sehr destruktiv. Sie treibt die Entwaldung voran. Großbetriebe setzen Antibiotika nicht zur Heilung ein, sondern vorbeugend. Das führt zu Arzneimittelresistenzen, was auch die Behandlung von Menschen erschweren kann. Viehzuchtbetriebe nutzen Wachstumshormone und verfüttern enorme Mengen an Mais und Soja. Heute wird mehr Land für den Tierfutteranbau genutzt als für Nahrungsmittel für Menschen. Die reichen Länder essen zu viel Fleisch und geben so international ein schlechtes Vorbild ab. Aber ich möchte betonen, dass es nicht darum geht, ob wir überhaupt Fleisch essen, sondern wie das Fleisch, das wir essen, produziert wird. Der Mensch braucht Eiweiß, und Fleisch ist reich daran. Wenn Sie persönlich vegetarisch leben möchten, ist das Ihre Entscheidung – aber es sollte keine Regierungsauflage sein. Was Regierungen aber tun müssen, ist Agrarbetriebe so zu regulieren, dass sie der Umwelt nicht schaden.

Was man essen sollte und was nicht, ist sehr umstritten.

Ich weiß. Bei Ihnen in Deutschland wurde die Partei Die Grünen einmal bei Wahlen abgestraft, weil sie einen vegetarischen Tag pro Woche in Betriebskantinen forderte. Soweit ich weiß, bestehen Rechtspopulisten jetzt auf das Recht, Fleisch zu essen – als wäre dieses Recht bedroht. Sie leugnen, dass zu viel Fleischkonsum ungesund ist, für den Einzelnen wie für den Planeten. Wir haben nur eine Welt, und wir müssen unsere Ernährung ökologisch betrachten.

Was halten Sie von Zucker?

Zucker ist der neue Tabak. Die Forschung zeigt, dass zu viel davon der Gesundheit enorm schadet, aber die Lebensmittelindustrie will nicht, dass das den Menschen bewusst ist. Genauso Salz und Fett. Die Verbraucher sollten darüber informiert werden, wie viel Zucker, Salz und Fett sie essen dürfen und ab wann sie ihre Gesundheit gefährden. Man sollte ihnen sagen, dass sie mit einer großen Flasche Coca-Cola ihr Zuckerpensum für drei Tage erreicht haben und mit einer Portion Maggi-Nudeln dazu das Salzpensum für einen Tag. Leider ist die Lobby der multinationalen Lebensmittelkonzerne groß und verhindert eine angemessene Kennzeichnung. In vielen Ländern wissen die Menschen daher nicht Bescheid. Das ist tragisch, weil Menschen durchaus etwas ändern, wenn sie ein Problem wirklich verstehen.

Sunita Narain ist Geschäftsführerin des regierungsunabhängigen Thinktanks Centre for Science and Environment in Delhi und Chefredakteurin des Umweltmagazins Down to Earth.
X: @sunitanar